Samstag, 18. August 2012

Zeit zu gehen

Die Unterhaltung wird kurz unterbrochen als M. die Schuhbürste weiterreicht an O., der fegt damit behände über das schwarze Obermaterial, sei es nun echtes Leder oder echtes Plastik, und bringt seinen Schuh so auf Hochglanz. Es geht weiter im Gespräch, eher ein Disput, ob Kinder denn nun dem Mann zuzusprechen seien oder nicht, wenn der Mann noch nicht mit der Frau verheiratet ist. Das islamische Gesetz sagt nein, das staatliche Gesetz aber ja. Beispiele aus dem Herkunftsdorf werden herangeführt. A. kommt dazu und steigt lauthals mit ein, jeder hier im Hinterhof hat eine Meinung dazu, eine Erfahrung aus der eigenen Familie oder Vergangenheit. Ich dagegen habe nur meinen Notizblock und meine Neugier. A. übertönt die anderen und schüttelt sich dabei am ganzen Körper um seinen Argumenten den erwünschten Nachdruck zu verleihen. Er erinnert mich an ein Bäumchen in einem Sturm. Sein Zeigefinger schnellt nach vorne und sein Rücken beugt sich tief, dann springt er auf und reckt die Faust in die Höhe, dreht sich dabei energisch von einer Seite zur anderen, damit auch ja alle seine wunderschöne Meinung zu dem Thema erfahren. Ich muss lachen, ich mag ihn wirklich gerne, diesen Spinner.

Eine schwarze Tüte mit Schuhbürsten, kleinen Dosen Schuhcreme und einigen abgefransten Rasierpinseln zum Auftragen der Schuhcreme liegt auf dem Treppenabsatz. Wem genau sie und ihr Inhalt gehört kann ich nicht sagen. Immer wieder bedient sich jemand daraus. Ich sitze auf den unteren Stufen auf einem kleinen Holzschemel, wie so oft. Ein Beinchen des Schemels ist bereits abgebrochen, das war vor einigen Monaten noch nicht so. Ich stütze ihn also am amputierten Ende auf eine Stufe, und schwanke so, Notizblock auf den Knien balancierend, über meine Beobachtungen hin und her. J. stopft seine Schuhe mit „bonye“ aus, zusammengeknüllten Plastiktüten die er aus der Holzkiste entnimmt, auf der „mwilijo“ gekrakelt steht. Das ist der Name eines „ukoo“, einer matrilinearen Verwandtschaftsgruppe, man könnte auch sagen, einer Großfamilie. A. hat die Kiste damit verziert, es ist seine Herkunftsgruppe im Dorf Miungo, in dem er geboren wurde. Auf einer anderen Kiste steht „dume la mbwa“, ein männlicher Hund, die Bedeutung der Aufschrift entgeht mir aber, man muss ja nicht alles verstehen. Die Kisten stammen ursprünglich aus der Tansanischen Nationalbank, wenn sie ausgemustert werden sammeln sie ein paar Schlauberger ein und verkaufen sie für umgerechnet einen Euro auf der Straße. Ob da früher einmal Millionen und Abermillionen von Tansanischen Schillingen drin gelagert wurden? Weiß ich auch nicht.

Ob da mal Millionen von Tansanischen Schillingen drinnen waren?Die ersten verlassen die Diskussionsrunde, stecken die gemeinsam benutzten Werkzeuge zurück in die Tüte und stellen ihre Schuhe auf der Straße auf. Ich gehe mit vor und setze mich mit A. auf einen der viereckigen Betonkübeln am Straßenrand, in denen wohl mal Blumen wachsen sollten, die man aber stattdessen mit ihrer undefinierten staubigen Füllung und ohne Blumen dem ergrauenden Schicksal der Stadt überlassen hat. Es ist bereits halb zwölf vormittags, und A. eröffnet mir, dass es sich nicht mehr lohnen würde für ihn, jetzt in Rotation zu gehen. Er geht wie jeden Tag kurz vor eins in die Moschee, gemeinsam mit H. und M., zum Mittagsgebet. Später dann wieder um vier Uhr nachmittags. Diese Zeiten geben vor, wann er Schuhe verkaufen kann und wann er sich vor seinem Gott verneigt.

Nach dem Gebet gehen wir in die Straßen, gleich zu Beginn kommt uns eine Frau entgegen. Ihr Blick haftet einen Bruchteil einer Sekunde zu lange an einem der Schuhe, die an A.´s Arm baumeln. Blitzartig reißt A. seine Schritte herum und stürzt in der entgegengesetzten Richtung der Frau hinterher, holt sie ein und beginnt auf sie einzureden. Er klinkt sich dabei in ihr Schritttempo ein und beobachtet ihre Augen. Sie bleiben stehen und die Frau fasst den Schuh an, fragt nach dem Preis und bekommt erwidert, dass sie doch erstmal sehen solle, wie gut der Schuh an ihrem Fuß aussieht. A. verkauft ihn und macht 1 Euro Gewinn, „zum Essen“, wie er sagt. Er ist zufrieden. Es ist ein Montag, der schwerste Tag der Woche für den Straßenhandel, da die Leute nach dem Wochenende nicht gewillt sind Geld auszugeben, wie man mir erklärt hat. So ab Donnerstag wird es besser. Noch dazu ist es die letzte Woche vor Iddi Mossi, dem Ende des Fastenmonats Ramadan, eine harte Zeit für die Straßenhändler. „Nyama ngumu, haitafuniki“ sagen sie, zähes Fleisch, das sich nicht zerkauen lässt. Viele der Straßenhändler selbst fasten auch, nicht ein Schluck Wasser geht über ihre Lippen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Iddi Mossi wird heiß ersehnt, aber Geld für Reis und ein bisschen Fleisch für den traditionellen Pilau muss erst einmal verdient werden.

Er fragt mich, ob ich eigentlich mit nach Miungo komme, wenn die Erntezeit für Cashew-Nüsse im September beginnt. Viele der Schuhverkäufer an unserem Maskani werden dann in ihre Heimatdörfer im Süden des Landes fahren, um den Eltern bei der Ernte zu helfen und um Waren aus Daressalam im Dorf zu verkaufen. Die Erntezeit ist die einzige Zeit, wenn die Menschen im Dorf Geld in der Tasche haben, eine gute Gelegenheit also ihnen gebrauchte Kleider aus der Stadt zu bringen. Der Maskani wird dann etwas weniger bevölkert sein, so wie ich das letztes Jahr erlebt habe. Einige bleiben zwei oder drei Wochen, manche einige Monate. Anschließend nehmen sie wieder ihr Leben in der Stadt auf.

Endsungeil: in Tansanische Stadtbusse einsteigen. Foto (c) Link Reuben 2011Nach der zweiten Gebetszeit des Nachmittags gehen wir zu „Mariedo“, einer Straßenecke an der zentralen Bushaltestelle „Posta“, wo sich einige der Jungs jeden Nachmittag niederlassen um ihre Schuhe auszulegen. Hunderte von Menschen strömen nun vorbei, die ihre Büros verlassen haben und sich nun mit den elend überfüllten Dreckschleudern von Minibussen auf den Weg in ihre Wohnviertel außerhalb des Zentrums machen. Mittags können A. und seine Kollegen hier nicht „lauern“, da sie der private Wachmann des anschließenden Business-Komplexes dann grundsätzlich vertreibt. Nachtmittags ist er entspannter, vielleicht einfach auch nur zu faul um ständig mahnend auf und ab zu stolzieren, mit tiefschwarzer Uniform, Schulterklappen und Dienstmütze eine Karikatur seiner selbst. Wir alle sind platt von dem langen Fußweg durch die Stadt, sitzen wortlos auf dem staubig-warmen Asphalt und lehnen mit dem Rücken an die Wand eines 20-stöckigen Hochhauses. Ich recke den Kopf nach hinten und sehe an der gekachelten Wand entlang nach oben in den Himmel. Ein Flugzeug wird von einer strahlend weißen Wolke verschluckt.

Gegen halb sechs erhebt sich A., er will zurück zum Maskani um seine Schuhe wieder in der Holzkiste einzulagern, bis morgen wieder alles von vorne beginnt. Er will nicht zu spät kommen. Wenn um halb sieben der Muezzin zuhause in Mbagala ruft, will er gemeinsam mit seiner Familie auf einer Matte vor dem Haus sitzen, um mit dem heutigen Fasten zu brechen.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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