Montag, 16. Juli 2012

Viele verschiedene Wörter die alle irgendwie miteinander zusammenhängen

Ich tauche in unnachgiebige Schwüle wie in ein warmes Bad. 30 Grad drücken morgens um 7. Die Fenster in der Gangway vom Flieger zum winzigen Mwalimu Julius Nyerere Airport sind geöffnet und es weht ein warmer Wind durch die kantige Röhre. Der Mobilfunkanbieter Airtel hat das Innere des Gangs mit großen roten Werbeplakaten ausgekleidet. Ein junger Massai mit langen Rasta-Zöpfen und Mobiltelephon in der Hand grinst mich an. Das Brausen der Triebwerke des Fliegers weht mit dem Wind herein. Und dann ist da noch dieser Geruch, feucht und modrig, wie im Matratzenlager einer Berghütte. Aber dampfig, brenzlig, irgendwo wird etwas verbrannt. Irgendwo wird eigentlich immer irgend etwas verbrannt in Tansania. Dieser Geruch wird aber nicht zusammen mit dem Maschinenlärm herein geweht, sondern ist einfach da, er ist der stehende Grundton des Akkords. Als ob der Boden ihn ausstrahlen würde. Es ist genau dieser Geruch, der es einen nie vergessen lässt, wo man ist, auch wenn man die Augen schließt und auf dem MP3-Player seine Radiohead-Sammlung durchhört. Und mit dem schwül-modrig-brenzligen Geruch stellt sich wieder dieses bodenlose Gefühl der Einsamkeit ein. Bodenlos deshalb, weil der bedingungslose Eindruck der Fremde, der sich in diesem Geruch bündelt, eine emotionale Falltüre in mir aufstößt, durch die all meine Lebensgewissheiten mit einem Mal runter fallen und nur die Frage zurückbleibt, wie man eigentlich alleine funktionieren kann.

Der Flughafen liegt südlich der Stadt in einem hässlichen Industriegebiet, dass ich mit meinem Nachbarn und Taxifahrer Ben durchkreuze. Der Stau hat den Verkehr wie immer fest im Griff, so dass wir für die wenigen Kilometer bis zum Stadtzentrum eine geschlagene Stunde brauchen. Selbst die großen Ausfallstraßen sind in Daressalam in der Regel einspurig. Die Infrastruktur der Stadt war nie für die Dimensionen angelegt worden, die die Hafenmetropole heute einnimmt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, nein, das ist zu abgedroschen. Das muss man sich mal in die gottverdammten Gehirnwindungen einschrauben, schon besser: In den vergangenen einhundert Jahren hat sich die Einwohnerzahl Daressalams in etwa vertausendfacht. Um 1905 lebten in dem kleinen Nest, hinter einer Hafenzeile von zweistöckigen Verwaltungsgebäuden der deutschen Kolonialisten, in verstreuten Hüttenansammlungen etwa 3500 Menschen. Heute wird die Einwohnerzahl auf 3,5 Millionen geschätzt, wobei eigentlich niemand genau weiß, wie viele Menschen es tatsächlich sind, geschweige denn, wo Daressalam denn nun anfängt, und wo es aufhört. An der Bucht liegt das dicht gedrängte Geschäftszentrum der Stadt. Zwischen vergilbten Betonklötzen aus den Sechzigerjahren penetrieren verspiegelte Hochhäuser die Skyline, dazwischen die ewigen Baukräne chinesischer Provenienz, und hohe, mit wehenden Plastikplanen verpackte Baugerüste, wie die flatternden Gespenster des Traums einer städtebaulichen Moderne.

So viele Leute und jeder anders, außer ich. Fähre nach Kigamboni. Foto (c) Link Reuben 2011Im Westen des Zentrums das Marktviertel Kariakoo, benannt nach den „Carrier-Corps“, den afrikanischen Trägern, die von den späteren britischen Kolonialherren hier im Schachbrettmuster angesiedelt wurden. Das drängelnde Treiben auf der Mtaa wa Kongo, die sich am einen Ende wie ein Trichter verjüngt, so dass die Passanten, ähnlich dem Vieh im Schlachthof, an der Engstelle gezwungenermaßen auf Tuchfühlung mit den allgegenwärtigen Taschendieben gehen müssen. Sehr viel eher „mein Afrika“ als Serengeti, Kilimandscharo und Trommeln am Lagerfeuer.

Hinter Kariakoo, im Westen, Norden und Süden, die Wohnviertel der Millionen Stadtbewohner. Unverputzt grau, einstöckig, wellblechbedacht, staubstraßig, eng und laut. „Uswahilini“. „bei den Swahilis“ lebt die Mehrheit der Menschen in Verhältnissen, die man irreführenderweise bei uns gerne als „einfach“ bezeichnet. Ich melde hiermit Zweifel an der Einfachheit dieser Umstände an und bin stattdessen lieber erstaunt darüber, wie die Leute im Anzug und im Business-Kostüm herausgeputzt aus diesen Wohnvierteln heraus stolzieren und mit den runtergerockten und notorisch überfüllten Dreckschleudern von Minibussen ins Stadtzentrum fahren, um ihrer schlecht bezahlten Arbeit in irgendwelchen Büros nachzugehen. Die paar Touristen aus Europa, mit Cargo-Hose, Wasserflasche, Großwildjägerweste und Bergschuhen in den Straßen der Stadt nehmen sich daneben irgendwie ungehobelt aus.

Der alte Stromkasten checkt das CD-Angebot aus. Downtown Dar. Foto (c) Link Reuben 2011Kurz bevor wir im Stadtzentrum an jener weltberühmten Straßenecke vorbeikommen, die regelmäßige Leser dieses Blogs nun selbst im Schlaf oder wahlweise mit verbundenen Augen, geknebelt und gefesselt im Kofferraum eines Autos eingesperrt, als Hauptschauplatz der hier angesammelten Texte identifizieren würden, biegen wir scharf nach rechts ab, dann gleich wieder nach links, und fahren am Hafen entlang in Richtung der Fähre. Sie wird mich zum luftig-grünen Zipfel jenseits der „Bucht des Friedens“ übersetzen. Ein infrastruktureller Alptraum, sind die knapp 200 Meter, die mangels einer Brücke mit zwei kleinen Fährschiffen überquert werden müssen, dennoch in gewisser Hinsicht ein Segen. Jenseits dieser paar Meter indischen Ozeans ist die enge Stadt plötzlich weiter weg, als sie tatsächlich ist. Hier gibt es keinen Lärm und keinen Stau. Stattdessen Kühe, Kokospalmen, das Türkis des Ozeans im Augenwinkel, das Grün der dichten Vegetation vor mir und den ostafrikanischen Himmel blau darüber. Die Stadtverwaltung plant eifrig eine Brücke, oder sogar zwei, und am besten noch eine Unterführung (!) unter der Bucht auf die andere Seite, um dieses wertvolle Stück Land endlich an die Stadt anzuschließen. „Mji Mpya“ soll das werden, die neue Stadt. Am Reissbrett entworfen, im Computer simuliert, für die Reichen ein Geschenk, für die ländlichen Bewohner der anderen Seite das Ende ihrer ruhigen Tage. Aber für die ist die neue Stadt ja bitte auch nicht gedacht.

Auf der anderen Seite, nach einigen Minuten Fahrt, an der Ecke, an der einst ein riesiger Mangobaum den Mopedtaxi-Fahrern Schatten spendete, bevor er vor einigen Wochen umgeholzt wurde, biegen wir rechts ein. Jetzt sitzen die Jungs in der prallen Sonne auf ihren indischen und chinesischen Motorrädern, winken mir überrascht zu. Sie alle kennen mich, schließlich nehme ich gerne und fast täglich ihre Dienste in Anspruch, und so viele Bleichgesichter navigieren sie nun auch wieder nicht um ihre Schlaglöcher herum. Durch ebendiese müssen Ben und sein Taxi sich quälen, um den Weg ans andere Ende des Dorfes zu finden, zum Compound meines Vermieters Johnson, in dessen Hof ich nun sitze und auf solche Art und Weise auf die Knöpfe meines Computers drücke, dass dabei irgendwie diese Zeilen zustande kommen. Die aufscheinenden Pixel stehen für Buchstaben, die wir zusammensetzen zu sogenannten Wörtern, die, in Reihe gesetzt, einen Sinnzusammenhang namens Satz ergeben. Das ganze steht wiederum für transkribierte Lautabfolgen, die wir eigentlich mit unseren Atem- und Sprachorganen erzeugen, ihr kennt das sicher. Mit diesen Lauten verweisen wir im Allgemeinen auf Dinge, die wir in der Welt wahrzunehmen glauben. Aber diese Laute und Worte, diese Pixel, Buchstaben und Sätze - sie sind nicht diese Dinge, oder? Wunder der Welt, des Lebens, oh Wunder der Technik. Ich kann dir, lieber Leserin, leider nicht erklären, wie das alles funktioniert, bin aber insgeheim begeistert. Und benutzen wir nicht jeden Tag diese Dinge, auch Computer, und drücken darauf herum als hinge unser Leben davon ab? Und wissen dabei gar nicht, wie das eigentlich funktioniert? Faszinierend.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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