Abdullah´s Palme? Ein Besuch auf dem Acker

10 auf 20 Meter Freiheit – aber wie rechnet man das in Fuß um? Um von den lästigen Mietkosten loszukommen haben C. und M. sich ein Stück Land gekauft auf dem, irgendwann in der Zukunft, ein eigenes kleines Häuschen stehen soll. Jetzt wollen wir mal sehen, wie die Lage ist. Mit einem Maßband und einem handgemalten Plan machen wir uns daran, ein Stück Acker zu vermessen.

Gruene Huegel und der ganze Hippie-Kram„Mist, jetzt haben wir vergessen Wasser zu kaufen,“ sagt C., als wir gerade aus dem dünn besiedelten Chamazi am Rande der Stadt in den Busch laufen, um die kleine Scholle zu suchen, die er und sein Cousin M. gemeinsam von ihrer Tante gekauft haben. Vor uns tut sich eine sanfte und grüne Hügellandschaft auf, und ich bereue nicht, die Einladung angenommen zu haben, die beiden zu ihrem Zukunfts-Hoffnungs-Ort zu begleiten. Das mit dem Wasser nehme ich nicht so ernst, ich prahle noch mit meiner vortrefflichen körperlichen Konstitution, was ich später kleinlaut und unter mitleidigem Schulterklopfen revidieren werde. Wir überqueren eine Senke um auf der anderen Seite das besagte Stück Land zu finden. Ihre Tante begleitet uns. Ihr Ehemann war der Besitzer und Verwalter des Landes, und hatte bereits einige Parzellen verkauft, bevor er letzten Dezember starb. Als wir ankommen torkelt sie zunächst wie betrunken durch die Hitze, bis sie sich schließlich im Schatten eines Baumes auf die verbrannte Erde wirft und vor Kummer und Schmerz schreit. Dieser einfache Acker weckt Erinnerungen in ihr, an ein gemeinsames Leben mit ihrem Mann, das erst vor so kurzer Zeit endete. Etwas unbeholfen stehen wir drei um sie herum, bis M. sie schließlich bittet, sich nicht in den Dreck zu legen, es gebe ziemlich viel garstiges Ungeziefer.

Als sie sich beruhigt hat zückt sie ein kleines Notizbuch, das ihr Mann hinterlassen hat. Auf der ersten Seite hat ihr Mann eine kleine Karte gezeichnet, auf der die Unterteilung der Fläche zu erahnen ist. Sie blättert um. Auf der zweiten Seite finden wir eine Liste mit Namen und Zahlen, Maßangaben der Teilstücke, die jeweils verkauft wurden. Wir identifizieren die ersten zwei oder drei Parzellen auf dem Acker vor uns, und stellen dann fest, dass einer der Käufer bereits angefangen zu bauen – nur eben auf der Parzelle seines Nachbarn. Ein gelungener Einstieg in eine tolle Freundschaft, denke ich mir und bin froh, das jetzt nicht rechtlich auseinanderklamüsern zu müssen. Aber letztlich geht es uns darum die Parzelle meiner beiden Freunde zu identifizieren. Also machen wir uns mit den Angaben aus dem Büchlein und einem Maßband daran, Parzelle für Parzelle zu vermessen. Das geht dann ungefähr so:

Bruno haette seine Freude: S. auf dem Acker„Abdullah hat ein Stück von der Palme dort drüben bis zu dem Yamsbusch dort, und von dem Lehmbrocken auf der anderen Seite bis zum Wasser unten. Das heißt auf der anderen Seite ist das Stück von Patrick, und dahinter dann unseres, ungefähr bis zu dem Mangobaum da hinten.“ Das ganze sind dann etwa 30 auf 60 Fuß, und unser Maßband ist in Metern geeicht. Wasser haben wir wie gesagt keines, dafür knapp 40 Grad im Schatten, nur dass es eben keinen Schatten gibt. Ein lustiger Nachmittag steht uns bevor.


Wie wir mit dem orange leuchtenden Meterband in der glühenden Hitze auf dem Acker herum springen fühle ich mich wie Bruno Latour in seinem „Pedologischen Faden“. In dem Text begleitet Latour eine Expedition in ein Amazonas-Gebiet in Brasilien. Eine Botanikerin, ein Pedologe (ein Vertreter der Wissenschaft von den Bodenbeschaffenheiten), ein Geograph und eben Latour als Anthropologe untersuchen, ob der Wald in besagtem Gebiet die Savanne, oder ob die Savanne den Wald zurückdrängt. Als Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen müssen die vier eine gemeinsame Sprache finden, um über den gleichen Gegenstand zu sprechen. Die Wissenschaftler in dieser Situation, so Latour, geben zwar vor über den Wald und die Savanne zu sprechen. Tatsächlich aber konstruieren sie künstliche Repräsentationen, mit Ordnungsprinzipien und Maßzahlen, die sie ihren jeweiligen Wissenschaftstraditionen entnehmen, und nicht dem natürlichen Wildwuchs um sie herum.

Ob dieser Exkurs in die Wissenschaftsphilosophie ein gelungenes Ende für diesen Text abgegeben hätte, werden wir nie erfahren. Denn so banal geht die Geschichte weiter: Wir begnügen uns mit dem recht konkreten Problem uns darauf zu einigen, wie viele Zentimeter denn nun ein Fuß hat (wir sind der Meinung 30), was erstaunlich lange dauert. Meine anfängliche Begeisterung für die grünen Hügel, die klare Luft und den ganzen Hippie-Kram macht relativ bald Platz für einen grundsoliden Sonnenstich, der, ob seiner Herkunft, zweifelsfrei mit den Worten „vom andern Stern“ treffend beschrieben ist.

Aufgeschnuert fuer die Kleinen Zuhause: Zuckerrohr Hoffnung lauert jedoch unten am Bach. Nachdem die eigentliche Arbeit vollbracht ist, werfen C. und M. sich ihre Hacken über die Schulter und lassen ihre Tante und mich Weichei unter einem Baum zurück. Nach wenigen Minuten kommen sie grinsend mit etwas wieder, was für mich wie Bambus aussieht. Nachdem wir aber mühsam mit den Zähnen die harte Rinde abgenagt haben gibt das zuckrig-kristalline Mark den süßen Geschmack von Wassermelone und vor allem etwas Flüssigkeit preis. Ich kann mich gerade noch zurückhalten den beiden heulend um den Hals zu fallen. Das Zuckerrohr hacken sie in etwas handlichere Stücke und verschnüren es mit der abgezogenen Rinde eines Baums für den Heimtransport. Ich staune über die beiden von neuem. Sind halt doch echte „Naturburschen“, Jungs vom Land, vom Dorf. Die Sonne und die körperliche Arbeit machen ihnen nicht die Bohne aus.

Ob irgendetwas von diesen Geschichten hier jemals in meinem Forschungsbericht enden wird – ich weiß es nicht (entschuldige, Bruno). Aber jede kleine Anekdote und jeder kleine Seiten- und Einblick in das tägliche Leben meiner Freunde verrät mir etwas mehr über ihr Leben, ihre Perspektive auf die Welt und ihr Gefühl für sich selbst und ihre Mitmenschen. Um das Leben auf dem Asphalt der Stadt zu studieren, muss man manchmal auf den Acker gehen. Potzblitz platzt die Blase der Erkenntnis über mir und heraus spritzt die strahlend klare Einsicht: Mit diesen Worten will ich enden.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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