Neulich in Uswahilini

Bisher war die Ethnologie, wie ich sie aus der Studierstube kannte, eine Wissenschaft des geschriebenen und manches Mal auch des gesprochenen Wortes. Meistens ging es darum, zu verstehen, was andere geschrieben haben, das in Beziehung zu anderen Texten zu setzen, sich einen eigenen Reim darauf zu machen, zu kritisieren, und letztlich diesen gesamten Gedankensud selbst in die Tastatur zu gießen.

Seit ich nun empirisch ein „Feld“ beackere, hat sich meine Ethnologie vollkommen verändert. Meine Arbeit besteht nun im Wesentlichen darin, soziale Beziehungen zu knüpfen. Ethnologie heißt heute für mich, Leute ansprechen, mich selber vorstellen, erklären was ich mache, was mich interessiert, und vor allem: was ich von den Leuten will. Denn ethnologische Forschung ist nicht möglich, wenn die Leute nicht mitmachen. Sie müssen sich bereit erklären sich „erforschen“ zu lassen, sich Zeit nehmen um Fragen zu beantworten, erläutern was sie tun, wie sie Leben, was sie denken, wie sie die Welt sehen. Die Beziehungen, die dabei zustande kommen, haben eine zweigesichtige Qualität. Einerseits sind sie sehr privater Natur, da sich hier zunächst einmal zwei Menschen treffen, mit ihrem persönlichen Hintergrund, ihren Geschichten, Biografien, Ansichten, ihrem Humor, ihren Vorlieben und Abneigungen, und, je nachdem, mit ihren Sympathien und Antipathien. Gleichzeitig ist der Zweck dieser persönlichen Begegnung auch eine professionelle Beziehung, für mich zumindest. Denn mein professionelles Interesse am Leben der Menschen auf den Straßen Daressalams schickt mich mit einer täglich länger werdenden Liste an Fragen hinaus, um den Leuten Löcher in die hungrigen Bäuche zu fragen.

Wie auch immer: Die Grundlage jeder sozialen Beziehung ist die fortgesetzte Kommunikation, Interaktion, gegenseitige Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Manches Mal fällt es mir leicht in einen Kommunikationszusammenhang einzusteigen, wenn ich morgens am Maskani ankomme. An anderen Tagen bleibe ich außen vor, wenn es beispielsweise – wie so oft – stundenlang um das Fußballspiel der englischen Premier League am Vorabend geht. Da kann ich einfach nichts sachdienliches beitragen (und das nimmt mir auch keiner krumm).

An wiederum anderen Tagen ist eine besondere Herausforderung der Feldforschung das Dosieren von Aufmerksamkeiten. Wenn sich die Leute an „meiner“ Straßenecke auch an meine Anwesenheit gewöhnt haben, und ich nicht mehr wie der Exot herumgereicht werde, so wird doch stets bemerkt, wenn ich mit einer Person besonders lange herumhänge, wenn ein Interview einmal länger als üblich dauert, oder wenn ich öffentlich eine Einladung zu jemandem nach Hause freudig annehme.

So war ich letzten Sonntag bei meinem Freund H. zu Hause in Mbagala eingeladen. Für mich privat ein schönes Freundschaftsangebot, und für mich als Forschenden natürlich eine wichtige Gelegenheit, um den persönlichen Hintergrund der Straßenverkäufer zu verstehen. Groß war die Freude seines vierjährigen Sohns über die Schoko-Kekse, und groß die Freude seiner Frau, dass mir ihr Ugali mit „Mboga ya majani“ (der typische klebrige Maisbrei mit Blattgemüse) wirklich gut schmeckte. Anschließend kamen zwei weitere Jungs vorbei, die ich auch von der Straße kenne, und die im gleichen Stadtteil wohnen. Gemeinsam zogen wir durch „Uswahilini“ (Slang für ein einfaches Wohnviertel, übersetzt etwa „bei den Swahilis“), landeten in einer Bar und tranken die unvermeidbaren klebrig-warmen Biere, die der Tansanier an einem sonnigen Sonntagnachmittag eben zu sich nimmt. Weiter ging´s zu einem der Jungs nach Hause, wo seine Frau, seine Tochter, sein Bruder und viele weitere Verwandte den Mzungu, den Weißen, bestaunen konnten. Als wir so durch Uswahilini zogen wurde die Gruppe immer größer, und immer mehr der Straßenverkäufer, mit denen ich jeden Tag in der Innenstadt herumhänge, schlossen sich uns an. Nicht ohne Stolz zeigten sie mir, wer wo wohnt, in welcher Bar wer wie viele Biere getrunken hat, wessen Sohn oder Tochter wo zu Schule geht, usw.

Am nächsten Tag wusste natürlich jeder auf der Straße bescheid: Alexi war in Mbagala. Nicht wenige haben sich bei meinem Gastgeber H. beschwert, wieso er mich nicht auch zu ihnen nach Hause gebracht habe. Ich nahm die Last der Ausreden von H.´s Schultern und erklärte, ich sei leider erst so spät gekommen, dass eine volle Runde Mbagala nicht möglich war. Einladungen wurden ausgesprochen, Pläne geschmiedet, Daten besprochen. Mbagala get ready: here I come again!

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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