Ich werde hier sein, im Sonnenschein wie im Regen

(frei nach Christian Kracht)

Seit knapp zwei Monaten bin ich nun im „Feld“, das heißt an einer bestimmten Straßenecke an der Samora Avenue in Downtown Daressalam. Diese Ecke zeichnet sich dadurch aus, dass rund dreißig Leute dort ihren täglichen kleinen Geschäften nachgehen: Da ist der Sonnenbrillenverkäufer, der jetzt in der Regenzeit auch mal spontan Regenschirme ins Sortiment aufnimmt. Da sind die drei Jungs vom Bücherstand, die hauptsächlich Schul- und Wörterbücher, Lexika und Ratgeber verkaufen. Da ist der Stempelmacher, der mit einem Stück Gummi, einer Rasierklinge und ruhiger Hand kleine Meisterwerke vollbringt. Da ist der Schmuckverkäufer, der vom Armreif über die gestrickte Rasta-Montur bis zum geschnitzten Masai in Lebensgröße alles besorgen kann. Da sind die Schuhverkäufer, etwa 25, die frühmorgens gebrauchte Schuhe vom Markt holen, aufpolieren, und tagsüber auf der Straße anbieten. Und dann sind da noch diverse Wachleute, Autowäscher, Zigaretten- und Kaffeeverkäufer, sowie viele tägliche Besucher, von denen ich nicht weiß, was genau sie eigentlich in den Straßen der Stadt treiben. Ach so, und mitten unter all diesen Leuten bin ich, jeden Tag.

Diese dicht gestrickte Straßeneckengesellschaft zu begreifen ist einmal der Anfang meiner Forschung. Bevor ich mich in die theoretischen Tiefen meiner ethnologischen Fragestellung stürze, muss ich zunächst einmal wissen, wie das soziale Gefüge beschaffen ist. Wer ist wer, wer kooperiert mit wem, wer spricht mit wem? Wer isst gemeinsam? Wer ist wie lange schon an dieser Ecke tätig? Das ist eine Besonderheit der Stadtforschung, die Unübersichtlichkeit des sozialen Umfelds, die täglich wechselnden Akteure. Ständig tauchen neue Gesichter auf – nun, sie sind für mich neu, alle anderen scheinen sich seit Ewigkeiten zu kennen.

In diesem „Feld“ macht es keinen Sinn, mit der Tür ins Haus zu fallen, und den Leuten mit Diktiergerät und unerhörten Fragen auf den Senkel zu gehen – es würde, denke ich, nicht viel dabei rauskommen. Ich habe mir vorgenommen, behutsam und geduldig vorzugehen. Schließlich möchte ich vertrauensvolle und belastbare Beziehungen aufbauen, die Menschen kennen lernen und Freundschaften schließen. Hier wird die ethnologische Forschung zum persönlichen, intimen Unternehmen. Denn ich begegne diesen Menschen nicht als akademisch gebildeter Forscher mit Mission, sondern als Mensch und Person, mit meiner Biografie, meiner Herkunft, meinen Geschichten, die ich zum allgemeinen Gesprächsstoff beitragen kann.

Foto (c) Link Reuben 2011So gibt es Tage, an denen nicht viel passiert – könnte man denken. Doch ich schätze auch diese Tage, die ich bei ungezählten Tässchen starkem Mokka-Kaffee, diversen Zigaretten und endlos sich hinziehenden Runden des tansanischen Brettspiels „Bao“ mit einem meiner Freunde auf der Straße verbringe. Zusammen haben wir gewartet, dass etwas passiert, dabei über ein paar Witze gelacht, das eine oder andere Detail aus unserem Leben erzählt. Feldforschung, ich hab´s geahnt, erfordert viiiieeeeel Geduld.


(Foto (c) Link Reuben 2011)

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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