Rhythmen, Routinen und Rotationen

Den Rhythmus einer fremden Lebensweise mit meinem eigenen Rhythmus einzutakten ist wohl der erste Schritt auf dem Weg zum Verstehen. Fremde Routinen zu übernehmen beinhaltet die eigenen Routinen abzustreifen. Da merkt man erst mal, wie widerstandsfähig die eigenen Gewohnheiten sind. Ich muss lernen, dass beispielsweise die Mittagszeit keine Zeit ist, zu der man isst. Das hat einen völlig banalen Grund: Wer nichts verkauft hat, isst nicht. Nun stehe ich als Feldforscher vor dem nicht unbedeutenden Problem, mich entweder unter einem Vorwand davon zu schleichen, und heimlich etwas zu essen, oder gemeinsam mit den Jungs am Maskani den Gürtel enger zu schnallen. Die Antwort auf dieses Problem ist klar, wenn ich die Sache hier ernst meine.

Das erste verdiente Geld am Tag ist das Fahrtgeld. Damit ist schon mal sichergestellt, dass man am Ende des Tages ins Daladala, also einen städtischen Kleinbus steigen kann, und in das heimische Viertel zurückkehren kann. Was zusätzlich verdient wird, wird in Essen umgesetzt. Einige der Jungs am Maskani haben einen preisgünstigen Deal mit den Mamantilie vereinbart, also mit den Frauen, die im Hinterhof des Blocks Reis, Bohnen, Fisch und andere kulinarische Normalitäten zubereiten: Für 500 Tansanische Schillinge (umgerechnet 25 Eurocent), bekommen sie die Reis- und Bohnenreste in einem Plastikeimer serviert. „Gonga dude“ nennen sie das, also in etwa „nen Brocken weghauen“. Ich bin jedes Mal herzlich eingeladen. Was dann noch vom verdienten Geld übrigbleibt, ist das Fahrtgeld für den nächsten Tag, vom Wohnviertel zurück in die Stadt. Dann beginnt der Kreislauf von vorne.

Mein derzeitiger Fokus liegt darauf, die Routinen am Maskani zu durchblicken. Die Waren stehen dabei im Vordergrund. Die Schuhe werden morgens mit Wasser gewaschen, gegebenenfalls geklebt. Das Wasser dafür ist das Kondenswasser der Klimaanlage eines Shops an der Ecke, das im Hinterhof, in dem die Jungs ihre Waren umsorgen, in einer leeren Zehn-Liter-Plastikflasche aufgesammelt wird. Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Schuhe dermaßen dreckig sind, dass sie der intensive Pflege tatsächlich bedürften, die ihnen zuteil wird. Doch scheint die Beschäftigung mit den Waren ein wichtiger Bestandteil der Arbeit zu sein. Immerhin ist die Sauberkeit der Schuhe ein Faktor, den die Verkäufer kontrollieren können – wenn sie ansonsten der Gunst der städtischen Polizei und der sehr raren Kundschaft ausgesetzt sind.

Nach der Morgentoilette kommen die Schuhe zunächst auf die Straße, direkt am Maskani. Dort bleiben sie etwa eine Stunde, bis sie nach und nach in die „Rotation“ gehen (Kiswahili: kwenye mizunguko), also durch die Straßen getragen werden. Das mobile Geschäft scheint lukrativer zu sein, als an einer Stelle auf Kunden zu warten. Die Runden der Verkäufer dauern eine bis anderthalb Stunden. Schweißgebadet kommen sie zurück, in der Regel ohne nennenswerten Gewinn gemacht zu haben.

Intuitiv scheinen die Jungs schon zu kapieren was ich will. Jedenfalls haben sie mich heute gefragt, wann ich denn nun mal mitkomme, in die Rotation.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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