Eine Brücke in die Mega-Moderne?

Mitten durch das Stadtzentrum führt die Uhuru Street, Straße der Freiheit. Sie verbindet den Central Business District und den Hafen mit dem überlaufenen Marktviertel Kariakoo. Über diese Schlagader des Stadtverkehrs quälen sich tagtäglich tausende von LKWs, Bussen und Autos. Dabei humpeln sie durch Schlaglöcher so groß wie IKEA-Auslegeteppiche und über Streckenabschnitte, auf denen der Asphalt völlig aufgegeben und sich im wahren Sinne des Wortes verkrümelt und aus dem Staub gemacht hat. Offenbar fehlen der Stadt die paar Tausend Dollar um die Strecke in einen Zustand zu versetzen, der ihrer zentralen Bedeutung für den Stadtverkehr entsprechen würde. Nun, nicht weiter verwunderlich, schließlich sind wir in Daressalam, wo zwar jeder noch so unwichtige Ministerialbeamte einen brandneuen Toyota Landrover inklusive Fahrer spendiert bekommt, die Mehrzahl der Bevölkerung dagegen aber weder Strom noch fließend Wasser hat. Wieso also die Straßen asphaltieren.

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Ein Rausch des "High Modernism": Die "Neue Stadt"
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Gleichzeitig, und das erstaunt zutiefst, wird hier der große, der ganz große, schier megalomane Traum geträumt: Von der hypermodernen „Neuen Stadt“. Mit Wolkenkratzern, Internationalen Firmenzentralen, Villenvierteln und Eliteuniversitäten, Hochgeschwindigkeits-Zügen und Öko-Parks. Nicht kleckern, klotzen ist die Devise. Das ganze nicht entlang der Uhuru Street, klar, sondern drüben, auf der anderen Seite der Hafenbucht, in Kigamboni. Um dorthin zu gelangen, muss man derzeit noch eine der beiden Fähren besteigen, die vom Stadtzentrum aus übersetzen. Das raubt Zeit und nervt manchmal. Und das ist vermutlich der Grund dafür, warum die andere Seite nur dünn besiedelt und kaum infrastrukturell erschlossen ist. Nach der Überfahrt erwartet einen ein dicht gedrängter Markt am Fährhafen, dann ein mittelgroßer Busbahnhof, von dem aus Minibusse über die zwei langen Landstraßen ins Hinterland fahren, an Palmen und Lehmhäusern vorbei, den Ozean immer im Blick, Kühe und Ziegen im Gebüsch, ländliches Tansania, Ruhe. Das soll bald anders werden.

Der Plan für „Mji Mpya“, die „Neue Stadt“, steht. Die Regierung ist fest entschlossen das „neue“ Daressalam zu kreieren, eine schicke und trendy Metropole, weitläufig angelegt, infrastrukturell von vorne bis hinten durchgeplant. Und zwar genau hier, wo ich im Moment sitze und mit den Fingern über die Tastatur klicker und klacker, in Kigamboni. Zunächst sollen wir angebunden werden an den Central Business District, durch drei Brücken und einen Tunnel unter dem Hafen durch. Überquert man die Hauptbrücke, soll man von einer Reihe von Wolkenkratzern entlang einer großzügig angelegten Allee des Atems beraubt werden. Dahinter luxuriöse Wohnanlagen, eine komplett verspiegelte Super-Universität. Ein Geschäftsviertel mit glänzenden Wolkenkratzern soll die Wirtschaft im ganzen Land ankurbeln. Ein Tourismus-Areal lockt mit teuren Hotels und mondänen Yachthäfen. Ein rundum beeindruckendes und ambitioniertes Großprojekt soll das also werden.

Kigamboni, vorher...
Palmen, Lehmhäuser, und der Ozean immer im Blick: Kigamboni heute

Auf der Straße spricht man mit Stolz von der neuen Stadt dort drüben. Ab 2014 soll mit dem Bau der Brücken begonnen werden. Über sie soll man hinüber gelangen in die absolute Supermoderne, in das Traumland, das moderne Tansania, in dem man so lebt, wie man es aus dem Fernseher und seinen Filmen kennt, so wie in Amerika oder Europa. Bezahlen sollen das angeblich die USA. George W. Busch hat, so die Flüsterpost der Straße, große Landstriche an der Küste rund um Dar aufgekauft. Ich frage mich welches Interesse die Vereinigten Staaten oder Bush daran haben sollte, den Tansaniern eine neue Superstadt zu spendieren? Ach so, es wurden ja Öl und Gas gefunden vor der Küste Tansanias. Vielleicht ist ja das der Grund für die innige Freundschaft zwischen George W. und dem Tansanischen Präsidenten, und für den Landbesitz des zu warm gebadeten Amerikaners hier in Ostafrika.

Ansehen kann ich mir den Traum jetzt als Image Video. Während ich das tue denke ich an die 3,5 Millionen Menschen in Dar, von denen der größte Teil von der Hand in den Mund lebt, ohne solide Ausbildung, feste Beschäftigung oder Krankenversicherung, auf sich selbst gestellt und von einer Regierung verlassen, der es in erster Linie darum geht, dass die Staatsdiener tolle Autos fahren und ihre Verwandten alle Jobs im Ministerium bekommen. So bekommt ein Parlamentarier pro Parlamentssitzung umgerechnet 100 Euro Zuschlag zu seinem Gehalt, weil er so einen schweren Job mit so viel Verantwortung hat. Die 390 Millionen USD, die Tansania im Fiskaljahr 2008/2009 für solche „sitting allowances“ ausgegeben hat, entsprechen dem Einkommen von 109.000 Lehrer, ein Jahr lang. Ein Lehrer verdient großzügige 75 Euro im Monat. Das ist selbst hier zu wenig für ein Leben, das ein wenig Planung und Hoffnung für die Zukunft zulässt. Mehr kann oder will die Regierung also für die Kinder und deren Zukunft nicht ausgeben. Wo bitte soll dann das Geld herkommen, für die Eliteuni und ihre Elite-Wissenschaftler? Für die Wolkenkratzer und die Stadtparks? Und wer soll in den Luxus-Villen wohnen, der Lehrer und seine Familie? Oder einer meiner Schuhverkäufer-Freunde? Und auch frage ich mich, was eigentlich mit den Leuten passieren soll, die jetzt schon hier leben, sicher einige Tausend, die hier ihre Häuser gebaut und Felder bestellt haben? Sicher werden sie großzügig entschädigt, da bin ich mir ganz sicher. Vielleicht schenkt Bush ja jedem Vertriebenen eine Baseball-Kappe mit Texas-Logo.

...und nachher.
Überzogener Glaube an die Moderne? Kigamboni in der Zukunft

James Scott bezeichnete in seinem Buch „Seeing like a State“ eine modernistische Ideologie, wie sie hier zugrunde liegt, als „high modernism“: Aus dem Selbstvertrauen des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, der Unterwerfung der Natur, aus der Idee, die soziale Ordnung könne rational durchstrukturiert werden, erwächst der überzogene Glaube an die Überlegenheit der rationalen Moderne. Solche Pläne, von Staaten „top down“ ihren Gesellschaften aufgezwungen, müssten aber scheitern, wenn sie die tatsächlichen Merkmale der funktionierenden sozialen Ordnung missachteten. Wenn die Führungseliten also nicht bedenken, wie ihre Bevölkerung tatsächlich lebt, in welchem Zustand die Gesellschaft ist, an welchen Ecken es fehlt, was alles nicht funktioniert. Als Beispiele nimmt Scott die Kollektivierung in Russland, die Kulturrevolution in China, die Zwangsumsiedlung im Tansania der sozialistischen Nyerere-Ära. Diese super-formalen Pläne standen in krassem Widerspruch zu den tatsächlichen, informellen, also nur wenig strukturierten, geplanten und staatlich kontrollierbaren Gegebenheiten, und mussten deshalb scheitern.

Vielleicht geht es aber auch um etwas anderes. Lauschen wir der Stimme aus dem Image-Video: „We will create a harmonious skyline, containing high rise, medium storey, and low rise buildings, presenting an advanced city image.“ (6:58) Ein „Image“ soll also kreiert werden, von einer „fortschrittlichen“ Stadt. Sieht schick aus euer Filmchen. Wie auch immer. Ich wünsche der Regierung von Herzen alles Gute bei ihren Plänen, und wünsche meinen Freunden und auch allen Tansaniern, die ich (noch) nicht kenne, ebenfalls ehrlich und von Herzen, ihre „neue“, ihre gesunde, aufgeräumte, funktionierende Stadt, mit allem drum und dran. Zum Beispiel mit funktionierenden Schulen, regelmäßig bezahlten und respektierten Lehrern; Krankenhäusern in denen außer Malaria auch andere Krankheiten diagnostiziert und behandelt werden können; geordnete Wohnverhältnisse, mit fließend Wasser in den Häusern, Stromanschluss für jedes Haus, durch den dann auch tatsächlich Strom fließt; Straßen, die nicht von einer stinkenden Blechlawine verstopft sind, die, oh Luxus!, von richtigen Fußgängerwegen gesäumt sind, auf denen man sogar eventuell mal die Kinder zu einem Spaziergang mitnehmen könnte. Träumt euren Traum. Aber im echten Leben: Vielleicht fangt ihr besser mit einem kleinen Schritt an, zum Beispiel erstmal die Uhuru Street zu asphaltieren. Oder habt ihr die „alte Stadt“ und ihre Bewohner schon aufgegeben?

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

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