Sonntag, 18. November 2012

Wenn im Herz die Finsternis.

Nachdem gegen 3.30 morgens die drei Hunde im Hof ihr grauenhaftes Geheul endlich eingestellt hatten, krähten gegen 4.30 die ersten Hähne. Um sechs Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, entließ das Mädchen aus dem Haus nebenan die Hühner in den Hof, wo sie alsbald ihr übliches Gescharre und Gezetere aufnahmen. Ich blieb einen Moment in meinem klammgeschwitzen Bettlaken liegen, dann holte ich meine müden Knochen unter dem Moskitonetz hervor. Wasser zum Duschen gab es mal wieder nicht, so dass ich nur ein wenig aus dem Eimer über meinen Kopf schöpfte, eine Wäsche „passport size“, wie man hier sagte.

K. holte mich, wie jeden Morgen, mit dem Moped zuhause ab, und setzte mich nach zehn Minuten Fahrt über die steinige Dorfstraße vorne, dort wo der Bus hält, ab. Tausend Schilling bekam er dafür: Alles klar? Alles super. Also dann, bis später - ok, bis später. Eingequetscht im nächsten Minibus machte ich es bis zur Fähre in Kigamboni, wo eine lange Autoschlange auf Überfahrt wartete, und wir Fußgänger uns unter das Wellblechdach drängten, um der morgendlichen Sonne zu entkommen. Für 200 Schillinge kaufte ich ein Papierticket, dass mir nur drei Meter hinter der Verkaufsbude wieder abgenommen wurde. Die schlurfenden Schritte und bunten Tücher der Frauen oder die vom Leben gezeichneten Gesichter der Männer waren für mich längst nicht mehr interessant, so dass ich, statt Leute zu gucken, lieber eine Runde Sudoku (Level 61) auf meinem Mobiltelefon spielte. Dann das metallische Klackern des sich öffnendes Tores. Wie eine Herde Vieh drängten wir uns zum Ausgang, zum Nadelöhr. Auf der anderen Seite die abschüssige Betonrampe zur Fähre „Kigamboni“. Drängeln, Enge, Hupen, Rutschen, rauf auf die Rampe, zusammenpferchen, warten.

Nicht immer so sonnig.Ich mochte diese morgendliche Fahrt über den Hafen. An diesem Tag lag zur einen Seite ein riesiges Schiff namens „Walenius Wilhemsen“, wie ein umgestürztes Hochhaus im schwarzen Wasser. Ich drehte den Kopf und blickte auf die andere Seite in die sich zum indischen Ozean hin öffnende Bucht: nächster Halt Zanzibar. Aufs Wasser starren und an den Münchner Marienplatz denken. Oder an die Fähre zwischen Meersburg und Konstanz. Endweitweg. Eine andere Welt. Am anderen Ufer dagegen: erneutes Gedränge, und wie mir das zum Hals heraushing. Hupende Autos scheuchten uns von der Rampe, über den Beton, durchs Tor hoch zur Straße. Eine Reihe schrottiger Minibusse stand im Stau, dahinter eine weitere Reihe, alle mit laufenden Motoren, eine Bleiwolke stand in der Luft, die Autos und Mopeds von der Fähre trafen auf den Stau, drängten sich irgendwie dazwischen, hupten, die Fußgänger, Radfahrer schoben sich mit rein, die Busleute schrien ihre Fahrtziele in das Chaos, schlugen dabei mit der flachen Hand auf ihre Blechkanister: Guten Morgen Daressalam.

Ich entschloss zu Fuß weiter zu gehen. Das kurze Stück bis zur Post. Neben der Fahrbahn im Strom der Leute, rechts und links nur Staub, Staub, Staub. Die Sonne verbrannte die Haut auf meinem Nacken, der Staub und die Abgase brannten in den Augen und nahmen mir die Luft. An alten Kolonialbauten vorbei, hier waren Ministerien und Ämter untergebracht. Beleibte Herren mit schwarzen Anzügen und einer kleinen Tansanischen Flagge am Sakko kamen mir entgegen. Innerlich verfluchte ich sie, in meinen Augen waren sie es, die für die Ungerechtigkeit, die Hackordnung, das Recht des Stärkeren in diesem Land verantwortlich waren. Geschmiert und gekauft, fettgefressen auf Kosten der anderen, die im Dreck und im Dunkeln saßen und sich von Tag zu Tag irgendwie über Wasser hielten.

Ich bog rechts in die Pamba Street ein. Zerfledderte Bücher, die auf dem Gehsteig verkauft wurden. Wachmänner saßen mit vorkolonialen Schrotflinten auf dreibeinigen Stühlen an den Straßenecken. Ich überquerte den Kreisverkehr beim Askari-Monument und fragte mich, was mich an meiner Straßenecke an diesem Tag erwarten würde. Sicher nichts, was ich nicht schon hundertmal erlebt und notiert hätte. Der Alltag, die Routinen, das Immergleiche, die Geschichten, die Posen, die Sprüche, das Stöhnen, das Jammern, das Grauen. Das Grauen?

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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