Freitag, 4. Mai 2012

Einheimischgehen

Schwer zu sagen, wie schockiert er gewesen sein mag, der heilige Ambrosius. 387 fand er sich eines Samstags in Mailand an voll gedecktem Tische, während seine Gebetsbrüder im heimischen Rom üblicherweise samstags fasteten. Schwamm drüber, dachte sich der Kirchenvater, „cum Romanum venio, ieiuno Sabbato, cum hic sum, non ieiuno“. Klug hat er das gesagt, so klug, dass Barbra Streisand sich 1964 sein programmatisches Diktum auslieh und das mittlerweile auch schon wieder vergessene „When in Rome, I do as the romans do“ trällerte. Die Bangels übernahmen 1987 das Thema dann irgendwie in „Walk like an Egyptian“, brachen es so auf das Niveau der allgemeinen Knalloballo-Kultur herunter.

Manche sagen ja „Kultur“ wenn sie an Musik, Theater oder Literatur denken. Andere sagen, die Amerikaner zum Beispiel hätten gar keine, sondern nur große Autos, schlechte Ernährung und diese bunten Fähnchen überall. Wenn man dann genauer darüber nachdenkt stellt man fest, dass man gar nicht genau sagen kann, was denn Kultur nun sein soll. Ist es das, was wir Essen nicht genauso wie das, was wir mit Hilfe von Sprache hervorbringen? Und unsere ästhetischen Urteile bezüglich Kleidung, Wohnungseinrichtungen, Frisuren, sind das nicht auch kulturelle Erscheinungen, die zum Beispiel schon zwischen München und Konstanz unterschiedlich ausfallen? So viele alltäglichen Handlungsabläufe vollziehen wir völlig unreflektiert. Und erst wenn man sich aus der eigenkulturellen Perwoll-Komfortzone einmal herauswagt und in fremde Gefilde begibt, merkt man, was da alles skriptartig abgespult und niemals hinterfragt wird. Irgendwie ist alles, was Menschen machen, doch kulturell, und das eben überall ein bisschen anders, wie der Ethnologe bestätigen kann.

Wenn Kultur nicht gerade in Theaterstücken und dicken Schmökern vorliegt, kann man sie auch als eine Art „zweite Umwelt“ verstehen, eine Art Schnittstelle, mit der jeder Einzelne an seine soziale und natürliche Umwelt andockt. Diese Schnittstelle ist uns in großen Teilen gar nicht bewusst, sondern wächst mit uns, während wir in unsere soziale Umwelt hineinwurzeln.

Es ist dann gar nicht so leicht, diese unterbewussten Skripte zu überwinden, wenn man versucht, sich in eine andere „Kultur“ einzufinden. Es dauert seine Zeit. Man muss die eigenen Vorannahmen, die meist eben unbewusst sind, auf die Seite schieben, und versuchen, die Vorannahmen der Leute um einen herum so weit wie möglich zu verstehen. Das ist nicht zuletzt der Grund, warum Ethnologen bei ihren Forschungen so lange Zeit vor Ort bleiben. Angefangen bei körperlichen Routinen. Wie oft bin ich in Dar in Leute reingelaufen, die mir auf der Straße entgegenkamen (ein rhetorische Frage)? In Deutschland gehen wir rechts aneinander vorbei, das mag dem Rechtsverkehr unserer Straßen geschuldet sein. In Dar jedenfalls zielt man auf die linke Seite seines Entgegenkommers.

Das ist aber nicht gemeint mit dem Begriff "going native". Gemeint ist damit eine ethnographische Pathologie: Feldforscher, die sich in ihrer Gastgesellschaft irgendwann mehr zuhause fühlen, als dort, wo sie einst hergekommen sind.

Lange Zeit saß ich an der Straßenecke und habe nicht verstanden, nicht verstanden was die Leute reden, was die Leute machen, warum sie lachen, wenn ich versuche etwas geistreiches von mir zu geben. Mittlerweile ist das anders. Ich bin über mich selbst erstaunt, wie selbstverständlich ich mich in der Straße bewege, Dinge intuitiv verstehe, die mir zu Beginn meiner Zeit ein Rätsel waren. Die Kunst der Ethnographie ist ja letztlich das, was nun für mich selbstverständlich geworden ist, wieder zu entblättern. Und Dinge, die man nicht reflektiert ganz explizit in allen Einzelheiten auszubuchstabieren ist keine leichte Aufgabe.

Aber soweit bin ich noch nicht. Nun bin ich erst mal zurück im Ländle, jawohl, Konschdanz hat mich wieder. Also laufe ich nun auf der anderen Seite in die Leute rein. Verzeiht, liebe Konschdanzer, ich weiß nicht ob ich hier zu Besuch bin, oder ob ich hier zuhause bin, oder wo ich denn nun hingehöre. Mein Koffer steht jedenfalls noch mehr oder weniger unausgepackt in meinem Zimmer.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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