Samstag, 4. Juni 2011

Gutes Gift und Blechkanister

„Hast du dein Geld und dein Telefon in Sicherheit?“ fragt mich C. als wir uns seitwärts in das Gedränge des Markts schieben. Von der staubigen Straße, dem Lärm und den Abgasen der Minibusse tauchen wir ab unter die Wellblechdächer des Mchikichini-Marktes. Wir sind in Ilala, in unmittelbarer Nachbarschaft vom Marktviertel Kariakoo, dem Herzen Daressalams. Die Sonne ist soeben aufgegangen.

Ich habe mich heute mit C. hier verabredet, um einmal zu sehen, wo die Jungs auf der Straße eigentlich ihre Ware herbekommen. Der Mchikichini-Markt ist die „Quelle“, an der sich Tausende von Straßenhändlern vor Tagesanbruch laben. Hier finden sie die gebrauchten Kleider und Schuhe, Mitumba genannt, die sie zu ihrem Business gemacht haben. Gegen 4 Uhr beginnt das Geschäft. In Ballen zusammengeschnürt kommt die Ware aus Europa, den USA und China. Die Großhändler haben keine Ahnung, welche Qualität die Ware hat, die sie da einkaufen. Sie schneiden die Ballen auf und verticken unsere abgetragenen Hosen, Hemden, Jacken, Handtücher, Unterwäsche, Schuhe. Eben alles, was die Konsummaschine bei uns zu Hause als „unbrauchbar“ ausgekotzt hat.

Im Schuhbereich finde ich, auf einer Fläche von etwa 60 auf 60 Metern, Reihen von Holzplattformen, vielleicht 1,80 Meter im Quadrat, etwa einen halben bis einen Meter hoch. Darüber, auf einer improvisierten Holzkonstruktion: ein fast durchgängiges Dach aus Wellblech über dem gesamten Markt. Dazwischen: schmale Gänge, in denen sich die Jungs an den Wühltischen drängen. Auf den Holzgestellen liegen Haufen von jeweils zwei- bis dreihundert Schuhen, wild durcheinander. Hochhackige Schuhe neben Oma´s abgetragenen Gesundheitstretern, Sandalen unter Gummistiefeln und Turnschuhen (auch „rubber“ genannt, nach ihrem Hauptbestandteil Gummi). Am hinteren Ende der Plattformen sitzen die Händler und ihre Frauen. Sie wachen über das Geschäft, dicke Geldbündel in den Händen haltend. Mitten in den Schuhhaufen stehen junge Männer: selber barfuss. Sie rufen die Preise aus und helfen den Kunden, den jeweils fehlenden Schuh eines Paars zu finden. Denn in Wühlnähe der Kundschaft findet sich immer nur ein Schuh. Der dazugehörige Zweite wurde aussortiert und außer Reichweite der Straßenjungs deponiert. So kann sich niemand mit einem Paar aus dem Staub machen, ohne zu zahlen.

Karume
Mchikichini-Schuhmarkt
(Foto (c) Link Reuben 2011)


Einige der Marktstände haben große Lautsprecher an die Holzpfosten gehängt. Auf einem steht ein dicker Subwoofer, aus dem arabisch anmutende und für die Küste Tansanias typische „Taarab“-Musik in knüppeldicker Lautstärke bricht. In den Brei aus Musik, schwüler Hitze und dem Dunst tausender gebrauchter Schuhe mischen sich die „wamachinga“, die Straßenhändler, die heute Morgen gekommen sind um „Arbeit“ zu finden.

Mein Freund C. beginnt die Jagd nach brauchbarer Ware. Ich sehe ihm zu, wie er bis zu den Ellbogen in einen Haufen fährt um einen Frauenschuh mit plastik-goldenem Flechtwerk ans Licht zu befördern. „Sumu“ sagt er mir, Gift. Damit lässt sich Geld machen, meint er damit. Ich bin mir da angesichts der Schaurigkeit dieses abgetragenen Treters nicht ganz so sicher, halte mich aber mit meiner Meinung zurück und bleibe in der Rolle des Beobachters. C. fährt mit den Fingern der rechten Hand in den Schuh, und prüft, ob sie ganz in der Spitze des Schuhs verschwinden. „Die Frauen mögen das nicht, wenn in hohen Schuhen ihre Zehen herausgucken,“ sagt er. Er messe das mit seinen Fingern aus. Er dreht und wendet den Schuh, wirft ihn dann aber zurück auf den Haufen. Der goldene Plastiküberzug am Absatz ist total abgeblättert, da hilft auch kein „Superglue“ mehr. Ein wesentlicher Arbeitsschritt in der täglichen Routine der Schuhverkäufer besteht darin, die geschundenen Schuhe wieder verkaufbar zu machen. Viel mehr Hilfsmittel als Wasser, etwas Waschpulver, Schuhcreme in zwei oder drei Farben („Dawa“ genannt, also „Medizin“) und eben Sekundenkleber benutzen sie dazu nicht.

Wir ziehen weiter. An einem Stand findet C. ein Paar guterhaltener roter Wildlederschuhe, hoher Absatz und „Made in China“. Er ist begeistert. „Sumu“ eben. An diesem Stand gilt es, nach dem individuellen Preis des Schuhs zu fragen. Der Verkäufer nennt den absurden Preis von 22.000 TSh. C. bietet 7.000. In hohem Bogen wirft der Händler den Schuh zurück auf den Haufen und würdigt C. keines weiteren Blickes mehr. C. schüttelt den Kopf. „Der Typ weiß, dass er gute Ware hat.“ Er kann so dreist sein und Preise verlangen, die die Jungs auf der Straße nie im Leben wieder reinholen können. „Warten wir bis später, da ändert sich die Lage,“ meint C. Denn während jetzt die relativ hohen Preise noch „kwa kuelewana“, also durch Nachfragen und Handeln klargemacht werden, werden zu einem späteren Zeitpunkt niedrigere Einheitspreise ausgerufen.

Mitumba
Frische "Mitumba" - aus Europa?
(Foto (c) Link Reuben 2011)


Wenn die besonders begehrten Schuhe weg sind und viele der Straßenhändler bereits haben was sie brauchen, wird „auf den Blechkanister gehauen“. Genauer und auf Kiswahili gesagt: „wanapiga debe“: „Arobaini arobaini arobaini!“ plärrt es über die Köpfe des Getummels hinweg. „Vierzig vierzig vierzig“ bedeutet dabei in Wahrheit „Viertausend viertausend viertausend“. Die Maulfaulheit der Straßenhändler, die ich schon so oft bestaunen durfte, hat wohl hier ihren Ursprung. „Dala dala dala!“ heißt „Fünftausend fünftausend fünftausend!“ Das muss man wissen. Ich wusste es nicht, bevor ich C. fragte. „Sina simu sina simu sina simu!“ ruft einer der Händler aus. Er sagt, er hat kein Telefon: Schnelles Zugreifen ist hier angesagt, denn späteres Nachfragen per Handy gibt´s nicht.

Es ist also alles eine Frage des Timings: Rechtzeitig da sein, um noch brauchbare Ware zu finden, aber eben spät genug einsteigen, um günstige Preise zu bekommen. Wir verlassen den Trubel für eine Viertelstunde und trinken am Busstand gegenüber einen Mokka, der Tote aufweckt – ich erwache. Wir kehren zurück zu den Schuhhaufen unter das Wellblech, doch finden wir das schöne Paar roter Schuhe nicht mehr. Schlechtes Timing. Wir streifen weiter durch die Reihen von Ständen. Kaffee-Verkäufer drängen sich an uns vorbei, balancieren ihre Metallkannen auf Wannen mit glühenden Holzkohlen zwischen unseren Beinen hindurch. Am Boden liegen nun wirklich unbrauchbare einzelne Schuhe, eingetrampelt in den Schlamm unter unseren Füßen. Ich treffe den einen oder anderen „achimwene“, einige der „Brüder“, die ich von der Straße kenne. „Holst du dir Arbeit, Alexi?“ fragen sie mich. Ich freue mich darüber, sie hier im Licht der Neonröhren zu sehen und auch diese Seite ihres Alltags endlich kennen zu lernen.

Nein, „Arbeit“ habe ich mir heute keine geholt. C. aber hat sechs Paar Schuhe eingekauft. Auf dem Rückweg passieren wir das Marktviertel Kariakoo. Er erklärt mir unterwegs, was es mit der Vorliebe der Leute in Daressalam für gebrauchte Ware auf sich hat. „Auch wenn da ‚Made in China’ steht, wissen die Kunden, dass die Schuhe für Europa hergestellt wurden. Die Europäer tragen keinen Mist,“ sagt er. Schuhe dagegen, die als Neuware aus China nach Tansania kommen, gelten als schlechte Ware, oft Fälschungen von Markenartikeln. Ich wundere mich ein wenig. Ich selbst bin mir nicht so sicher, dass diese Schuhe alle auf den Straßen Europas ausgelatscht wurden. In einigen kleben Aufkleber mit Preisen in US-Dollar. Andere könnten ebenso gut direkt aus der Volksrepublik oder Korea kommen. In der Logik der Straße aber hält „USA-Europa“ als Garant für die Qualität der Schuhe her, die eigentlich und irgendwie allesamt aus China kommen.

Kariakoo
Das Marktviertel Kariakoo: Geistige Heimat aller Taschendiebe
(Foto (c) Link Reuben 2011)


Nach einer halben Stunde Fußmarsch kommen wir schon etwas erschöpft am Maskani im Zentrum der Stadt an. Die anderen Straßenhändler trudeln ebenfalls langsam ein, um sich und ihre Schuhe fit zu machen für die „Rotation“. C. wäscht und wienert seine neuen Schuhe. Ich sehe ihm dabei zu und bereite mich mental darauf vor, sie ab Mittag gemeinsam mit ihm in den Straßen der Stadt zu präsentieren. Wie wir uns dabei in die Zeittaktung der Stadt einklingen, welche "Force" da mit uns ist, und was ein gewisser "Onkel Mnehu" mit alledem zu tun hat, davon mehr beim nächsten Mal.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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