Unschuld und Öltanker: Was Geld kaufen kann

Unrecht hat, wer behauptet, Ämtergänge seien etwas für Weicheier. Keine Geduld hat, wer nach nur vier Stunden denkt, seine Nummer werde nun wirklich nicht mehr aufgerufen. Glück hat, wer wichtige Leute an richtigen Stellen kennt.

Ich zum Beispiel kenne jemanden, der jemanden kennt, der mir die Telefonnummer von jemandem geben konnte, so dass die Beantragung meiner Aufenthaltserlaubnis mich nur läppische drei Tage auf dem „Amt“ gekostet hat. Andere verbringen fast ihr gesamtes Erwachsenenleben in Warteräumen, am kurzen Ende langer Hebel, die glänzende Klinge der behördlichen Willkür stets an der Kehle ihrer Geduld. Gründlich ist sie, die tansanische Bürokratie. Und korrupt auch, aber das, lieber Leser, zwitschern die Vöglein bereits von den Dächern.

Ein ganzer Berufsstand hat sich in Daressalam rund um die Tücken seines Amtswesens formiert. Wer also einen tansanischen Pass braucht, dem sei hiermit geraten, jemanden zu bezahlen, der die nötigen Papiere, Passbilder und Schmiergelder einsammelt, um sich anschließend an seinerstatt in den Sumpf zu begeben. Als informeller Zubringer, sozusagen, zum normalen formalen Verwaltungswahnsinn. Als Geburtshelfer, sozusagen, für Dokumentschwangere. Gleiches gilt für Autozulassungen, Steuerformalitäten, Geschäftspapiere, Geburts- und Sterbeurkunden.

„Mishentaun“, so nennt man die jungen Männer, die in den Hinterzimmern von Einwohnermelde- und Finanzämtern die Klinken putzen. Die Stadt ist ihre Mission (engl. mission-town – check?). Einer von ihnen ist J. Mit Bügelfalte an der Hose, makellosem weißen Hemd und auf Hochglanz polierter Glatze treffe ich ihn jeden Tag in seinem Büro. Das heißt, er hängt an der gleichen Straßenecke ab, wie ich mit meinen Schuhverkäufer-Freunden. Sein wichtigstes Werkzeug ist sein Mobiltelefon, mit dem er Aufträge entgegennimmt, Sekretärinnen von Sekretärinnen anruft, per Telefonguthaben Schmiergelder verschickt.

Ergibt sich die Gelegenheit, und es kommt ein geschäftig wirkender Chinese um die Ecke gebogen, springt er auch mal auf und zieht eine kleine Plastikschatulle mit Edelsteinen, Tanzaniten, aus der Hose. Meines Wissens mindestens Fälschungen, schlimmstenfalls Diebesgut. Ein anderer meiner „Meshentaun“-Bekannten hat sich an diesen blau durchscheinenden Steinen böse die Finger verbrannt. Einer seiner Kunden wurde von der Polizei gefilzt, und es kam heraus, dass die Steine aus einem Raubüberfall mit Todesfolge stammten. Besagter Bekannter wurde des Mordes angeklagt, war er doch im Besitz der Beute gewesen. Nach elenden Monaten im Gefängnis konnte er sich schließlich per Schmiergeld die Unschuld erkaufen. Ich gehe davon aus, dass er mit dem Raub nichts zu tun, sondern einfach nur Riesenpech hatte. Aber sich von Mordanschuldigungen freikaufen?

„Das hier ist Daressalam,“ sagt mir J., als wir die Geschichte diskutieren. „Ob du einen Freispruch oder einen Öltanker kaufen willst, ich kann dir alles besorgen.“ Für´s erste wäre ich mit einem Schluck Kaffee zufrieden. Wir rufen einen der Jungs zu uns, die in ihren Aluminium-Kannen die schwappende dunkle Brühe durch die Straßen tragen. Während wir an unseren kleinen chinesischen Tässchen nippen, staune ich einmal mehr über die Geschichten, die diese Stadt so hergibt. Gut ist, dass es dieses Internetdings gibt, und auch gut ist dieses Blogdings. Aber noch besser finde ich, dass ich meinen Papierkram für die nächste Zeit erledigt habe.
lucilla - 5. Apr, 22:01

Aneignung bürokratischer Strukturen

Das System des mission town check versorgt auch andernorts Menschen mit einem Job.

Befindet man sich etwa als Stipendiatin im Inselstaat Indonesien erhält man ein einjähriges Visa. Während des Aufenthalts darf man einmal das Land verlassen. Dieses eine Mal sollte jedoch mit ausreichendem Vorlauf angegangen werden. Denn die von unterschiedlichen Behörden geforderten Papiere scheinen mit jedem erbrachten Dokument eine rechnerische Wurzel zu schlagen.
Wenn man nun plant in 2 Wochen zu reisen so ist äußerste Eile angebracht.

So ergibt sich, ich benötige das "Urgent Exit Permission Visa". Interessanter Umstand, will ich ein Land verlassen muss ich um "Erlaubnis bitten". Ein mir bisher vollends unbekannte Perspektive.

Nach Einholung der Ausreiseerlaubnis durch den Dekan der Universität in Padang Panjang auf Westsumatra (Dauer 1 Tag), einem Stempel des `Kantor Imigrasi` (Immigrationsbüro) des zuständigen Verwaltungsbezirk in Bukittinggi (Entfernung 40 km, Einfache Fahrtdauer 2 Stunden, Suche nach einer Fahrgelegenheit 2 Stunden) halte ich ein Papier in Händen. Mit diesem soll ich beim `Kantor Immigrasi`am Abreiseflughafen vorstellig werden.

Auf meiner Zwischenstation zur Ausreise auf Bali mache ich erstmals Bekanntschaft mit dem Service des "Klinkenputzers". In Bali bieten "Immigration-Büros" mit den entsprechenden Aushängeschildern "Verlängerung ihres Visums" ihre Dienste feil.

Ganz klar, der einzige Ausweg, so wird mir gesagt, einen "Klinkenputzer" beauftragen.

Ich greife zum Übel. Aber - soll ich wirklich ebenso agieren wie all jene, denen ich die grausame Armut und Ungerechtigkeit in diesem Land zuschreibe? All die Verseuchung, Menschenhandel. den Ausverkauf des Reichtums des Landes (Öl, Holz, Edelsteine, Metalle).. Soll ich mich einreihen in dieses System der Korruption? Wie können die eigenen Prämissen so schnell zur Debatte stehen? Prämissen, welche mich in Indonesien zwangsweise Tag für Tag umtreiben. Da mir die Auswirkungen - nicht nur des korrupten Systems, sondern die des herrschenden Weltsystem hier tagtäglich ungeschminkt, pur und unausweichlich begegnen.

Und ja, ich greife zum Übel. In diesem Fall bleibt mir kein anderer Ausweg als alles zu probieren.

Der Cousin von einem Freund ist nach einem Handyanruf schnell zur Stelle und ich vertraue ihm meinen Reisepass an, mit der Botschaft wie wichtig es ist, dass ich meinen bereits bezahlten Flug nach Europa nicht verpasse. Jedoch verbleibt das unsichere Gefühl, ob der Ernst der Lage von allen Anwesenden bei dem Gespräch geteilt wird. An mir nagt der Zweifel. Könnte es am Ende daran liegen, dass sie wissen, dass nichts gewiss ist.. (außer der Tod) ?
Der Cousin von einem Freund kann jedoch bis zum Abflugtag nichts erreichen.
Jedoch wie froh bin ich allein meinen Reisepass wieder in den Händen zu halten.
Mir schwant Böses. Abreise ist in 3 Tagen in Jakarta.

Einige Anrufe werden getätigt. Die Ansprechpersonen sitzen im ganzen Land verteilt (Sumatra, Kalimantan, Jakarta,..) Die zu zahlende Summe für das "Urgent Exit Permission Visa ist vereinbart. Ich, nein die 100 Euro - tatsächlicher Wert vor Ort 1000 Euro) wird im Kantor Immigrasi am Flughafen Jakarta erwartet.

Im Flughafen Jakarta entdecke ich einen Schalter "Free Exit Visa for Student". Hah, sie werden das Geld nicht kriegen die korrupten Schweine. Ich bekomme den heiß ersehnten Stempel von einem freundlichen und sympathischen Beamten in meinen Pass verewigt. Yes! Mein Herz jubelt vor Triumph ob des verrotteten Systems.
Ich begebe mich zur Passkontrolle für das Boarding. Gerade will der Beamte mir meinen Pass wieder zurückgeben, als er ein Zeichen erhält. "Das muss überprüft werden" sagt er mir und gibt meinen Pass an einen Dritten.... Game over.

Was bleibt mir anderes als dem Dritten zu folgen. Ich begebe mich in die Amtsstube, werde von einem mir bekannt benannten Mann trocken empfangen. Das klingt dann folgendermaßen, wenn man verstimmt ist in Indonesien: " Ich habe ja bereits auf Sie gewartet. Wo waren Sie denn so lange? Wir hatten doch eine Verabredung, nicht wahr. ..." Mein Blut, mein Herz meine Seele, mein Stolz - alles kocht innerlich vor Wut und abgrundtiefer Verachtung.

Die Beamten waren vorerst noch beschäftigt vor meinen Augen die im vorangegangenen Augenblick erhaltenen Schmiergelder gerecht zu verteilen. Ich bin fassungslos ob der Dreistigkeit und der Amtsmoral an sich.
Nun bin ich dran. Meine im Pass eingetragene "Urgent Exit Permission" ist nicht die "richtige" und zudem nicht ausreichend. ... !
Kleinlaut versuche ich den Preis zu drücken. Ich benötige keine einzige Rupiah mehr, aber es geht mir um´s Prinzip. Um einiges Rupiah erleichtert verlasse ich wutschnaubend die Behörde, bemühe all meine Beherrschung, um nicht die wüsten Beleidigungen in meinem Kopf verlautbaren zu lassen. Tränen der Verzweiflung kann ich nicht unterdrücken. Dies Gefühl totaler Ohnmacht raubt mir die Fassung.

Welche Rolle spielt die ehemalige holländische Kolonialmacht bei diesen administrativen"Auswucherungen"? Manche sagen, die Indonesier hätten die holländische Bürokratie ins Extreme geführt, sozusagen (einer) der verbleibende(n) Flüche der Holländer.

Und ich frage mich, mit welchem quasi national-inhärenten Selbstverständnis wächst der Indonesier auf? Was bedeutet das Wort Freiheit für ihn?

Und denke mir mit welcher Selbstverständlichkeit ich (Europäerin) doch wieder mein Ziel erreicht habe. Auch wenn meine Freude und Erleichterung groß ist, so scheint der Ausgang der Geschichte doch einer bekannten Gesetzmäßigkeit zu folgen.

Nun sitze ich schon wieder eine Weile in Europa und mir verschwimmen diese Themen im Epizentrum der Comfort Zone.

Ich danke dir Lex für das Wachrufen dieser Erinnerungen.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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