Zurück in die Zukunft

Man sieht es H. einfach an, dass er dieser Tage nicht gut drauf ist. Er sieht unausgeschlafen aus und redet nicht viel – das entspricht unter normalen Umständen so gar nicht seinem Naturell. Heute Morgen hat er mich um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Er will mich um meinen Rat bitten in einer wichtigen Angelegenheit. „Tupo pamoja“, sage ich ihm, wir halten zusammen, gerne höre ich mir seine Sorgen an.

„Ich schlafe nicht gut zur Zeit. Ich liege wach und wälze mich von einer Seite zur anderen. Wenn um halb fünf der Muezzin das erste Mal zum Gebet ruft, bin ich vielleicht gerade eingenickt,“ erklärt mir H. seine Verfassung. Eine Sache gehe ihm im Kopf um, und er könne sich einfach kein klares Bild darüber verschaffen, was zu tun sei. „Du weißt, ich habe dich schon vor einigen Wochen um Hilfe gebeten, als ich kein Geld für das Fahrtgeld nach Masasi hatte.“ Damals musste H. seine Frau und seinen fünfjährigen Sohn Y. zurück in sein Dorf in der südlichen Region Masasi schicken. Das wenige Geld, dass er mit den Schuhen auf der Straße verdient, reichte einfach nicht mehr aus, um seiner Familie ein würdiges Leben zu ermöglichen. Ich habe ihm das Geld gegeben, damit er, schweren Herzens, seine Lieben wegschicken konnte. Alleine in der Stadt, so sein Plan, würde er leichter „maendeleo“ machen, einen Fortschritt im Leben. Doch das ist nicht passiert.

Es muss noch etwas anderes geben außer 
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Schuhe, Schuhe, Schuhe: H. hat genug.
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Es muss noch etwas anderes geben außer
Schuhe, Schuhe, Schuhe: H. hat genug


„Ich sehe heute zurück auf viele Jahre in Daressalam, seit ich vom Dorf hierher gekommen bin,“ sagt H. „Aber ich bin einfach kein Stück von der Stelle gekommen.“ Dabei hat er vieles versucht: Als Küchenhilfe in einem Hotel gearbeitet, als Gärtner, hat Klamotten durch die Straßen der Stadt getragen, bis er schließlich am Maskani und im Schuh-Geschäft gelandet ist. Und hier bewegt sich keiner von der Stelle. „Jeden Tag fange ich wieder bei Null an. Ich verdiene genug Geld zum Essen, aber ich kann einfach keinen Schilling für spätere Zeiten auf die Seite legen,“ sagt H. Er will also sein Leben in der Stadt als gescheitert erklären, und zurück in sein Dorf gehen.

Sein neun Quadratmeter großes Zimmer, in dem er, seine Frau, ihre Schwester und sein Sohn in einem Doppelbett unter Wellblech geschlafen haben, aufgeben. „Die Möbel will ich verkaufen, ich brauche Geld, um im Dorf ein neues Leben anzufangen,“ plant H. Cashew-Nüsse seien das große Ding in Masasi, die möchte er mit seiner Frau anbauen, außerdem, wenn er Kapital hat, Kleider von Dorf zu Dorf verkaufen. „Ich blicke in die Zukunft, anders als viele hier am Maskani. Die denken nur an heute,“ sagt H. „Sie sind zufrieden, wenn sie von Tag zu Tag über die Runden kommen.“ Und seine Zukunft, die sieht er in der Rückkehr ins Dorf. Ich kann ihn in seinem Plan nur unterstützen. „Ich bin mir sicher, auf dem Dorf kannst du nicht scheitern, aber hier in der Stadt, kannst du bis ganz nach unten durchrutschen,“ antworte ich ihm. Er weiß, was ich meine. Nicht wenige der Straßenhändler haben Alkohol- und Drogenprobleme, ruinieren sich selbst, werden von ihren Frauen und Kindern verlassen, gehen vor die Hunde.

Neun Quadratmeter Wellblechglück: Seine Frau, sein Sohn, seine Schwägerin
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und H. in ihrem alten Leben in der Stadt.
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Neun Quadratmeter Wellblechglück: Seine Frau, sein Sohn, seine Schwägerin
und H. in ihrem alten Leben in der Stadt.



„Und vor allem will ich nicht, dass mein Sohn später das gleiche Leben führen muss, wie ich.“ Er soll zur Schule gehen, und die kostet Geld. Das Wasser folgt dem Flussbett, sagt man in Tansania. Die Eltern arm, die Kinder arm. In ein armes Leben geboren, das Leben lang geschuftet, und am Ende genauso arm ins Grab gefallen – ein normaler Lebenslauf. „Dann sehe ich dich also nicht wieder, wenn ich nächstes Jahr wieder nach Dar komme?“, frage ich ihn schließlich. Er grinst. „Wenn du nach Masasi zu mir kommst, schlachte ich eine Ziege für dich,“ antwortet er. Wir lachen und besiegeln das Wiedersehen auf dem Land mit Handschlag.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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