Bäh. Oder: Versuch über die Stille

Es dröhnt. Ok? Es scheppert und kracht. Dann dröhnt es wieder. Oh Mann. Die Gehörgänge machen dicht. Die Basslinie dringt in den Kopf und drückt das Gehirn zur Seite. Jeder Ton, jede Frequenz des Bass setzt ein anderes Körperteil in Schwingung. Zwischen Brust und Kopf. Jetzt flackert das Licht. Kurz verliere ich die Orientierung. Der Basslauf ist durch, die Optik wird wieder scharf. Dann wieder fährt das Dröhnen vom Bauch in die Birne. Es macht der DJ eine Ansage. Ich kneife die Augen zusammen, bei jedem Zischlaut aus seinem Mund. Ich will das gar nicht, muss ein Reflex sein. Damit das Gehirn nicht in Scheiben geschnitten wird. Hat die Natur so eingerichtet. Oder der Liebe Gott, da gehen die Meinungen auseinander. Die Bedienung lahmarscht durch die akustische Hölle und sagt Unverständliches. Sie bewegt die Lippen, ich nicke, zucke gleich darauf mit den Schultern und recke einen Finger in die Höhe. Sie geht. Gutes Gespräch. Sie wird mir vermutlich Bier bringen.

Ich blicke mich um. Im trüben Licht roter und blauer Neonröhren, auf Plastikstühlen, gruppiert rund um Plastiktische, um Bäume herum und unter einem hohem Palmblätterdach, sitzen dutzende Männer. Geplättet. War ein heißer Tag heute. Wie immer eigentlich. Jetzt gibt’s Bier. Oder Konyagi, "The Spirit of the Nation". Wer die Flasche leer hat legt sie vor sich auf den Tisch. Dann weiß die Bierbringerin was zu tun ist. Ganz ohne Reden. Man drückt auf dem Handy herum. Drück drück. So wie ich, der ich diese possierlichen Beobachtungen hier und in just diesem Moment der Berühroberfläche meines Smartphones aufstreiche. Ich und diese Männer, und die Männer untereinander: Wir könnten uns jetzt auch anschreien, durch den Lärm hindurch, wie geht’s und all das. Was gibt´s Neues und so. Und wer hat wieder welchen Vogel abgeschossen heute.

Tun wir aber nicht. Wir schweigen. Noch nicht mal uns an, sondern einfach: Schweigen, jeder für sich. Da gibt´s nix herzugeben oder mitzuteilen. Dafür dann diese Frage, also echt mal, an mich selbst gestellt: Diese Lautstärke, wieso eigentlich? Es war doch eh schon so laut in der Stadt heute. Auf dem Weg dorthin kreischte die Musik im Daladala. Die Generatoren auf der Straße: Akustischer Terror. Und dann überall Leute. Ständiges Gegrüße und Gequatsche. Überall Autos. Man nennt das Verkehrschaos. Die Stadt, im Grunde eine permanente Großbaustelle, ein Attentat auf die Sinne. Und schließlich, abends im "Lulu Pub": knallharte Kampfbeschallung.

Noch einmal ein Blick in die Runde. Doch: Zufriedene, entspannte Gesichter. Kein Wort. Mir kommt eine Idee, das kann mitunter passieren. Also: Wir können uns hier nicht unterhalten, stimmt´s? Deshalb müssen wir das auch nicht. Keiner wird’s keinem krumm nehmen, wenn er sich nicht nach dem Wohlbefinden der weiteren Verwandtschaft ganz allgemein erkundigt. Keiner wird am Ende beleidigt sein, wenn er nicht mit ausufernden Argumenten für diesen oder jenen Standpunkt, zum einen dann zum anderen Thema, zerstreut wird. Wir können nicht, ergo: wir müssen nicht reden. Und wisst ihr was? Das ist geil! Geil, geil, geilogeil! Endlich Ruhe! Welch Wohltat! Reine Luft im Gehirn! Sonst nix, aber sowas von nix! Welch fliederfarbenes Seelenflattern! Alles um uns herum brüllt! Und die ewige Kommunikationsmaschine: schweigt.

Und dann diese pseudowissenschaftliche Analyse hinterherschieben: Möglicherweise gibt es eine Dichte von Frequenzen, ein undurchdringliches Konglomerat an Geräuschen, über- und durcheinander gelagerten Tönen, an dem die menschlichen Sinne schlicht abprallen. Für das Gehirn nicht mehr zu entwursteln und zu Sinn zu verarbeiten. Sensorisch zu nichts zu gebrauchen, totale Überforderung. Bäh. Nichts geht mehr. Es macht sich daher breit: Totale innere Stille. Innerer Frieden. Zusammensitzen und endlich allein sein. Oder anders: Fast schon Buddhismus, eigentlich. Fett OM, könnte man sagen. Würde man aber eh nicht hören. Denn es rockt. Zumindest dröhnt es. Ok?

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

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