Wenn im Herz die Finsternis.

Nachdem gegen 3.30 morgens die drei Hunde im Hof ihr grauenhaftes Geheul endlich eingestellt hatten, krähten gegen 4.30 die ersten Hähne. Um sechs Uhr, kurz vor Sonnenaufgang, entließ das Mädchen aus dem Haus nebenan die Hühner in den Hof, wo sie alsbald ihr übliches Gescharre und Gezetere aufnahmen. Ich blieb einen Moment in meinem klammgeschwitzen Bettlaken liegen, dann holte ich meine müden Knochen unter dem Moskitonetz hervor. Wasser zum Duschen gab es mal wieder nicht, so dass ich nur ein wenig aus dem Eimer über meinen Kopf schöpfte, eine Wäsche „passport size“, wie man hier sagte.

K. holte mich, wie jeden Morgen, mit dem Moped zuhause ab, und setzte mich nach zehn Minuten Fahrt über die steinige Dorfstraße vorne, dort wo der Bus hält, ab. Tausend Schilling bekam er dafür: Alles klar? Alles super. Also dann, bis später - ok, bis später. Eingequetscht im nächsten Minibus machte ich es bis zur Fähre in Kigamboni, wo eine lange Autoschlange auf Überfahrt wartete, und wir Fußgänger uns unter das Wellblechdach drängten, um der morgendlichen Sonne zu entkommen. Für 200 Schillinge kaufte ich ein Papierticket, dass mir nur drei Meter hinter der Verkaufsbude wieder abgenommen wurde. Die schlurfenden Schritte und bunten Tücher der Frauen oder die vom Leben gezeichneten Gesichter der Männer waren für mich längst nicht mehr interessant, so dass ich, statt Leute zu gucken, lieber eine Runde Sudoku (Level 61) auf meinem Mobiltelefon spielte. Dann das metallische Klackern des sich öffnendes Tores. Wie eine Herde Vieh drängten wir uns zum Ausgang, zum Nadelöhr. Auf der anderen Seite die abschüssige Betonrampe zur Fähre „Kigamboni“. Drängeln, Enge, Hupen, Rutschen, rauf auf die Rampe, zusammenpferchen, warten.

Nicht immer so sonnig.Ich mochte diese morgendliche Fahrt über den Hafen. An diesem Tag lag zur einen Seite ein riesiges Schiff namens „Walenius Wilhemsen“, wie ein umgestürztes Hochhaus im schwarzen Wasser. Ich drehte den Kopf und blickte auf die andere Seite in die sich zum indischen Ozean hin öffnende Bucht: nächster Halt Zanzibar. Aufs Wasser starren und an den Münchner Marienplatz denken. Oder an die Fähre zwischen Meersburg und Konstanz. Endweitweg. Eine andere Welt. Am anderen Ufer dagegen: erneutes Gedränge, und wie mir das zum Hals heraushing. Hupende Autos scheuchten uns von der Rampe, über den Beton, durchs Tor hoch zur Straße. Eine Reihe schrottiger Minibusse stand im Stau, dahinter eine weitere Reihe, alle mit laufenden Motoren, eine Bleiwolke stand in der Luft, die Autos und Mopeds von der Fähre trafen auf den Stau, drängten sich irgendwie dazwischen, hupten, die Fußgänger, Radfahrer schoben sich mit rein, die Busleute schrien ihre Fahrtziele in das Chaos, schlugen dabei mit der flachen Hand auf ihre Blechkanister: Guten Morgen Daressalam.

Ich entschloss zu Fuß weiter zu gehen. Das kurze Stück bis zur Post. Neben der Fahrbahn im Strom der Leute, rechts und links nur Staub, Staub, Staub. Die Sonne verbrannte die Haut auf meinem Nacken, der Staub und die Abgase brannten in den Augen und nahmen mir die Luft. An alten Kolonialbauten vorbei, hier waren Ministerien und Ämter untergebracht. Beleibte Herren mit schwarzen Anzügen und einer kleinen Tansanischen Flagge am Sakko kamen mir entgegen. Innerlich verfluchte ich sie, in meinen Augen waren sie es, die für die Ungerechtigkeit, die Hackordnung, das Recht des Stärkeren in diesem Land verantwortlich waren. Geschmiert und gekauft, fettgefressen auf Kosten der anderen, die im Dreck und im Dunkeln saßen und sich von Tag zu Tag irgendwie über Wasser hielten.

Ich bog rechts in die Pamba Street ein. Zerfledderte Bücher, die auf dem Gehsteig verkauft wurden. Wachmänner saßen mit vorkolonialen Schrotflinten auf dreibeinigen Stühlen an den Straßenecken. Ich überquerte den Kreisverkehr beim Askari-Monument und fragte mich, was mich an meiner Straßenecke an diesem Tag erwarten würde. Sicher nichts, was ich nicht schon hundertmal erlebt und notiert hätte. Der Alltag, die Routinen, das Immergleiche, die Geschichten, die Posen, die Sprüche, das Stöhnen, das Jammern, das Grauen. Das Grauen?
marianengraben - 18. Nov, 14:47

ich les deinen blog ja ganz gerne

aber ich finde, dass dus in letzter zeit ziemlich übertreibst mit deiner negativ-darstellung der stadt und des lebens hier. ich glaube dass das wahrscheinlich zu nem großteil mehr mit dir und deiner eigenen einstellung als mit der tatsächlichen situation von dsm zu tun hat. ich weiss nicht warum es für dich hier immer schlimmer wird, aber dar hat definitiv auch seine schönen seiten, und gerade in hinblick auf the danger of a single story würde ich mir eine weniger einseitige darstellung von dir wünschen.

http://www.ted.com/talks/chimamanda_adichie_the_danger_of_a_single_story.html

lekke - 18. Nov, 21:53

tut mir leid

das kann ich nicht bedienen. ich propagiere hier keine "ideas worth spreading", sondern stelle in unterschiedlichen texten meine sehr persönlichen, einseitigen, subjektiven und emotionalen geschichten dar. nicht mehr und nicht weniger. wenn es dir spass macht zu lesen, freue ich mich. wenn es dich stört was ich schreibe tut es mir leid. aber ausgewogene und "objektive" berichterstattung habe ich nie versprochen.
marianengraben - 18. Nov, 22:55

Natürlich basiert so ein Blog auf der subjektiven Ausgangsposition des Verfassers, und das ist ja auch legitim. Problematisch wird diese Subjektivität respektive Einseitigkeit in dem Moment, in dem sie hegemoniale Praxis ist. Und genau das ist ja die Gefahr.
Dass Deine eigene Anschauung sich dabei im Kontext männlich-weisser westlicher Wissenschaftler-Diskursdominanz bewegt ist die eine Sache - dass Du Dich im Sinne der Selbstreflexivität fragen solltest, wie sich Deine Subjektivität auf deinen analytischen Blick auswirkt eine Andere.
Subsumiert jedoch mit Deiner hier zur Schau getragenen Haltung der "Erschöpfung" ob all der "Gräulichkeiten" - mich erinnert das an die tragische Figur des sog. Entwicklungshelfers - kommt mir beim Lesen Deines Textes der fade Beigeschmack einer single-story auf, die gegebene Ungleichverhältnisse eher reproduziert als sie zu hinterfragen.
Als berichtende Person habe ich im Rahmen meiner Subjektivität dennoch immer auch Wahlmöglichkeiten. Du hast Dich entschieden, das ist in Ordnung - ich wollte Dich nur darauf hinweisen.
Aber dass Du Dich dabei auf den sattsam bekannten Rassisten und Eurozentristen Conrad beziehst, macht die Sache nunmal nicht besser.

lekke - 19. Nov, 09:42

vielen dank

für die kritik. das ist eine mögliche lesart des textes, die ich auch nicht unterbinden will. nur eine sache möchte ich loswerden: wenn ich hier conrad zitiere, dann denke ich, dass ich mit dem titel "wenn im herz die finsternis" klargemacht habe, dass die "dunkelheit" auf der seite des beschreibenden liegt, nicht auf der seite des beschriebenen.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

Du bist nicht angemeldet.

Fieldwork
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren