Freitag, 14. September 2012

Who the f*ck is Papa Schlumpf?

In meinem Traum bin ich in einer Kunstgalerie und stehe vor einem Gemälde von Salvador Dalì auf dem irgendetwas zerfließt. Dankenswerter Weise erhalte ich eine fachkundige Erklärung zu Farbwahl, Perspektive und kunstgeschichtlicher Bedeutung eben dieses Gemäldes, und zwar von niemand geringerem als Papa Schlumpf, der sich klugscheissernd zwischen mich und das Gemälde geschoben hat. Ich erwache und hänge kurz dem Gedanken über meine derzeitige psychische Verfassung nach, der aber schnell von einem mittelschweren Kulturschock beiseite geschoben wird. Über mir erblicke ich Wellblech, und über die Lehmwand meiner Kammer hinweg höre ich die Stimmen von gefühlten 34 Kindern und einigen Erwachsenen, die sich, in ihrer lokalen Stammessprache Kisambaa schnatternd, über ihren morgendlichen Tee hermachen.

Erwachen unter Wellblech: Who the f***ck is Papa Schlumpf?Durch das kleine Dorf Bombo Majimoto in den nördlichen Usambara-Bergen fließt so gut wie kein Geld. Die Menschen leben von Mais- und Reisanbau, halten sich einige Ziegen, Schafe und Hühner. Sie bauen keine cash crops an, also Agrarprodukte, die sich gewinnbringend verkaufen ließen. „Wenn einer bei uns krank wird, bitten wir einen Verwandten in der Stadt uns Geld zu schicken,“ sagt mein Gastgeber. Dabei geht es dann um Beträge von zwei oder drei Euro, die über Genesung oder Leid entscheiden. Gemeinsam besuchen wir seinen Onkel, der in einer kleinen Hütte auf einem der umliegenden Hügel lebt. Er wird langsam blind. Seine Kinder sind bis auf eines gestorben, und sein verbleibender Sohn, selber weit über vierzig Jahre, schafft es gerade so, ihm in harten Zeiten einen Teller Reis vorbeizubringen. Während wir vor seinem Haus sitzen zähle ich die Ziegen, die an den Pfosten des Vordaches angebunden stehen. Ich komme auf sechs ausgewachsene Tiere und zwei Zicklein. Weiter besitzt dieser Mann nichts.

Ein Zicklien muss tun, was ein Zicklein eben tun mussAm späten Nachmittag kommen wir zurück ins Dorf. Die Hütten sind genauso rotbraun wie der Boden, wen wundert´s, sind sie doch aus ebendiesem Lehm gebaut. Vor einigen dieser Hütten sitzen jetzt Frauen und Kinder, die die Körner von Maiskolben pulen und auf einen Haufen werfen. Später wird das zu Mehl gestampft und anschließend zu Ugali, dem typisch ostafrikanischen Bauchfüller verkocht. Dazu gibt es Bohnen und ein bisschen Blattgemüse. Den Mais bauen sie selber an, frühmorgens mit der Hacke auf dem Feld. Man verdient sich im Wortsinne seine Mahlzeit durch harte Arbeit. Die Leute essen das, was sie angebaut haben. Punkt. Ganz sicher könnte ich hier keine Woche überleben.

Am nächsten Morgen treten sämtliche Kinder des Haushalts an (ich zähle 9) um ihre Dosis Wurmkur einzunehmen. Ich habe Medikamente aus der Stadt mitgebracht. Anschließend spielen wir ein bisschen auf-der-Matte-herumsitzen-und-den-Weißen-begaffen, ein besonders schönes Spiel. Ich denke, in Deutschland werde ich aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit bald an Persönlichkeitsschwund erkranken. Der älteste Sohn trägt ein T-Shirt auf dessen Vorderseite „Imam Hussein (A.S.) hat den Islam gerettet“ steht, auf der Rückseite „Warum hat man Imam Hussein (A.S.) umgebracht?“. Mir entgeht die Bedeutung dieser Botschaft, aber nicht die Tatsache, dass, nach Schelte der Mutter sich zu waschen und die Kleider zu wechseln, der jüngere Bruder mit eben jenem T-Shirt herumläuft.

Die Dorfjugend rockt - und ich rocke mitAls ich nach einigen Tagen aufbreche, verabschiede ich mich nicht, so, wie man mir geraten hatte. Es gäbe zu viel Glauben an Hexerei und so, da sei es besser, die Leute wüssten nicht, wann ich mich wo auf den Weg mache. Also mache ich kein Trara aus meinem Aufbruch, sondern sage schlicht, ich fahre mal eben in die nächste Ortschaft. Bis später also Leute. Ein Bruder oder Schwager fährt mich mit dem Moped stundenlang durch die Bergdörfer bis in die nächste Stadt. Am Abend des nächsten Tages komme ich in Daressalam an. Oh stinkender Großstadtmoloch, du hast mich wieder.

Sonntag, 2. September 2012

Eine Brücke in die Mega-Moderne?

Mitten durch das Stadtzentrum führt die Uhuru Street, Straße der Freiheit. Sie verbindet den Central Business District und den Hafen mit dem überlaufenen Marktviertel Kariakoo. Über diese Schlagader des Stadtverkehrs quälen sich tagtäglich tausende von LKWs, Bussen und Autos. Dabei humpeln sie durch Schlaglöcher so groß wie IKEA-Auslegeteppiche und über Streckenabschnitte, auf denen der Asphalt völlig aufgegeben und sich im wahren Sinne des Wortes verkrümelt und aus dem Staub gemacht hat. Offenbar fehlen der Stadt die paar Tausend Dollar um die Strecke in einen Zustand zu versetzen, der ihrer zentralen Bedeutung für den Stadtverkehr entsprechen würde. Nun, nicht weiter verwunderlich, schließlich sind wir in Daressalam, wo zwar jeder noch so unwichtige Ministerialbeamte einen brandneuen Toyota Landrover inklusive Fahrer spendiert bekommt, die Mehrzahl der Bevölkerung dagegen aber weder Strom noch fließend Wasser hat. Wieso also die Straßen asphaltieren.

Aufs Bild klicken um zum Video zu gelangen!
Ein Rausch des "High Modernism": Die "Neue Stadt"
(Klick auf´s Bild um zum Video zu gelangen)


Gleichzeitig, und das erstaunt zutiefst, wird hier der große, der ganz große, schier megalomane Traum geträumt: Von der hypermodernen „Neuen Stadt“. Mit Wolkenkratzern, Internationalen Firmenzentralen, Villenvierteln und Eliteuniversitäten, Hochgeschwindigkeits-Zügen und Öko-Parks. Nicht kleckern, klotzen ist die Devise. Das ganze nicht entlang der Uhuru Street, klar, sondern drüben, auf der anderen Seite der Hafenbucht, in Kigamboni. Um dorthin zu gelangen, muss man derzeit noch eine der beiden Fähren besteigen, die vom Stadtzentrum aus übersetzen. Das raubt Zeit und nervt manchmal. Und das ist vermutlich der Grund dafür, warum die andere Seite nur dünn besiedelt und kaum infrastrukturell erschlossen ist. Nach der Überfahrt erwartet einen ein dicht gedrängter Markt am Fährhafen, dann ein mittelgroßer Busbahnhof, von dem aus Minibusse über die zwei langen Landstraßen ins Hinterland fahren, an Palmen und Lehmhäusern vorbei, den Ozean immer im Blick, Kühe und Ziegen im Gebüsch, ländliches Tansania, Ruhe. Das soll bald anders werden.

Der Plan für „Mji Mpya“, die „Neue Stadt“, steht. Die Regierung ist fest entschlossen das „neue“ Daressalam zu kreieren, eine schicke und trendy Metropole, weitläufig angelegt, infrastrukturell von vorne bis hinten durchgeplant. Und zwar genau hier, wo ich im Moment sitze und mit den Fingern über die Tastatur klicker und klacker, in Kigamboni. Zunächst sollen wir angebunden werden an den Central Business District, durch drei Brücken und einen Tunnel unter dem Hafen durch. Überquert man die Hauptbrücke, soll man von einer Reihe von Wolkenkratzern entlang einer großzügig angelegten Allee des Atems beraubt werden. Dahinter luxuriöse Wohnanlagen, eine komplett verspiegelte Super-Universität. Ein Geschäftsviertel mit glänzenden Wolkenkratzern soll die Wirtschaft im ganzen Land ankurbeln. Ein Tourismus-Areal lockt mit teuren Hotels und mondänen Yachthäfen. Ein rundum beeindruckendes und ambitioniertes Großprojekt soll das also werden.

Kigamboni, vorher...
Palmen, Lehmhäuser, und der Ozean immer im Blick: Kigamboni heute

Auf der Straße spricht man mit Stolz von der neuen Stadt dort drüben. Ab 2014 soll mit dem Bau der Brücken begonnen werden. Über sie soll man hinüber gelangen in die absolute Supermoderne, in das Traumland, das moderne Tansania, in dem man so lebt, wie man es aus dem Fernseher und seinen Filmen kennt, so wie in Amerika oder Europa. Bezahlen sollen das angeblich die USA. George W. Busch hat, so die Flüsterpost der Straße, große Landstriche an der Küste rund um Dar aufgekauft. Ich frage mich welches Interesse die Vereinigten Staaten oder Bush daran haben sollte, den Tansaniern eine neue Superstadt zu spendieren? Ach so, es wurden ja Öl und Gas gefunden vor der Küste Tansanias. Vielleicht ist ja das der Grund für die innige Freundschaft zwischen George W. und dem Tansanischen Präsidenten, und für den Landbesitz des zu warm gebadeten Amerikaners hier in Ostafrika.

Ansehen kann ich mir den Traum jetzt als Image Video. Während ich das tue denke ich an die 3,5 Millionen Menschen in Dar, von denen der größte Teil von der Hand in den Mund lebt, ohne solide Ausbildung, feste Beschäftigung oder Krankenversicherung, auf sich selbst gestellt und von einer Regierung verlassen, der es in erster Linie darum geht, dass die Staatsdiener tolle Autos fahren und ihre Verwandten alle Jobs im Ministerium bekommen. So bekommt ein Parlamentarier pro Parlamentssitzung umgerechnet 100 Euro Zuschlag zu seinem Gehalt, weil er so einen schweren Job mit so viel Verantwortung hat. Die 390 Millionen USD, die Tansania im Fiskaljahr 2008/2009 für solche „sitting allowances“ ausgegeben hat, entsprechen dem Einkommen von 109.000 Lehrer, ein Jahr lang. Ein Lehrer verdient großzügige 75 Euro im Monat. Das ist selbst hier zu wenig für ein Leben, das ein wenig Planung und Hoffnung für die Zukunft zulässt. Mehr kann oder will die Regierung also für die Kinder und deren Zukunft nicht ausgeben. Wo bitte soll dann das Geld herkommen, für die Eliteuni und ihre Elite-Wissenschaftler? Für die Wolkenkratzer und die Stadtparks? Und wer soll in den Luxus-Villen wohnen, der Lehrer und seine Familie? Oder einer meiner Schuhverkäufer-Freunde? Und auch frage ich mich, was eigentlich mit den Leuten passieren soll, die jetzt schon hier leben, sicher einige Tausend, die hier ihre Häuser gebaut und Felder bestellt haben? Sicher werden sie großzügig entschädigt, da bin ich mir ganz sicher. Vielleicht schenkt Bush ja jedem Vertriebenen eine Baseball-Kappe mit Texas-Logo.

...und nachher.
Überzogener Glaube an die Moderne? Kigamboni in der Zukunft

James Scott bezeichnete in seinem Buch „Seeing like a State“ eine modernistische Ideologie, wie sie hier zugrunde liegt, als „high modernism“: Aus dem Selbstvertrauen des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts, der Unterwerfung der Natur, aus der Idee, die soziale Ordnung könne rational durchstrukturiert werden, erwächst der überzogene Glaube an die Überlegenheit der rationalen Moderne. Solche Pläne, von Staaten „top down“ ihren Gesellschaften aufgezwungen, müssten aber scheitern, wenn sie die tatsächlichen Merkmale der funktionierenden sozialen Ordnung missachteten. Wenn die Führungseliten also nicht bedenken, wie ihre Bevölkerung tatsächlich lebt, in welchem Zustand die Gesellschaft ist, an welchen Ecken es fehlt, was alles nicht funktioniert. Als Beispiele nimmt Scott die Kollektivierung in Russland, die Kulturrevolution in China, die Zwangsumsiedlung im Tansania der sozialistischen Nyerere-Ära. Diese super-formalen Pläne standen in krassem Widerspruch zu den tatsächlichen, informellen, also nur wenig strukturierten, geplanten und staatlich kontrollierbaren Gegebenheiten, und mussten deshalb scheitern.

Vielleicht geht es aber auch um etwas anderes. Lauschen wir der Stimme aus dem Image-Video: „We will create a harmonious skyline, containing high rise, medium storey, and low rise buildings, presenting an advanced city image.“ (6:58) Ein „Image“ soll also kreiert werden, von einer „fortschrittlichen“ Stadt. Sieht schick aus euer Filmchen. Wie auch immer. Ich wünsche der Regierung von Herzen alles Gute bei ihren Plänen, und wünsche meinen Freunden und auch allen Tansaniern, die ich (noch) nicht kenne, ebenfalls ehrlich und von Herzen, ihre „neue“, ihre gesunde, aufgeräumte, funktionierende Stadt, mit allem drum und dran. Zum Beispiel mit funktionierenden Schulen, regelmäßig bezahlten und respektierten Lehrern; Krankenhäusern in denen außer Malaria auch andere Krankheiten diagnostiziert und behandelt werden können; geordnete Wohnverhältnisse, mit fließend Wasser in den Häusern, Stromanschluss für jedes Haus, durch den dann auch tatsächlich Strom fließt; Straßen, die nicht von einer stinkenden Blechlawine verstopft sind, die, oh Luxus!, von richtigen Fußgängerwegen gesäumt sind, auf denen man sogar eventuell mal die Kinder zu einem Spaziergang mitnehmen könnte. Träumt euren Traum. Aber im echten Leben: Vielleicht fangt ihr besser mit einem kleinen Schritt an, zum Beispiel erstmal die Uhuru Street zu asphaltieren. Oder habt ihr die „alte Stadt“ und ihre Bewohner schon aufgegeben?

Samstag, 18. August 2012

Zeit zu gehen

Die Unterhaltung wird kurz unterbrochen als M. die Schuhbürste weiterreicht an O., der fegt damit behände über das schwarze Obermaterial, sei es nun echtes Leder oder echtes Plastik, und bringt seinen Schuh so auf Hochglanz. Es geht weiter im Gespräch, eher ein Disput, ob Kinder denn nun dem Mann zuzusprechen seien oder nicht, wenn der Mann noch nicht mit der Frau verheiratet ist. Das islamische Gesetz sagt nein, das staatliche Gesetz aber ja. Beispiele aus dem Herkunftsdorf werden herangeführt. A. kommt dazu und steigt lauthals mit ein, jeder hier im Hinterhof hat eine Meinung dazu, eine Erfahrung aus der eigenen Familie oder Vergangenheit. Ich dagegen habe nur meinen Notizblock und meine Neugier. A. übertönt die anderen und schüttelt sich dabei am ganzen Körper um seinen Argumenten den erwünschten Nachdruck zu verleihen. Er erinnert mich an ein Bäumchen in einem Sturm. Sein Zeigefinger schnellt nach vorne und sein Rücken beugt sich tief, dann springt er auf und reckt die Faust in die Höhe, dreht sich dabei energisch von einer Seite zur anderen, damit auch ja alle seine wunderschöne Meinung zu dem Thema erfahren. Ich muss lachen, ich mag ihn wirklich gerne, diesen Spinner.

Eine schwarze Tüte mit Schuhbürsten, kleinen Dosen Schuhcreme und einigen abgefransten Rasierpinseln zum Auftragen der Schuhcreme liegt auf dem Treppenabsatz. Wem genau sie und ihr Inhalt gehört kann ich nicht sagen. Immer wieder bedient sich jemand daraus. Ich sitze auf den unteren Stufen auf einem kleinen Holzschemel, wie so oft. Ein Beinchen des Schemels ist bereits abgebrochen, das war vor einigen Monaten noch nicht so. Ich stütze ihn also am amputierten Ende auf eine Stufe, und schwanke so, Notizblock auf den Knien balancierend, über meine Beobachtungen hin und her. J. stopft seine Schuhe mit „bonye“ aus, zusammengeknüllten Plastiktüten die er aus der Holzkiste entnimmt, auf der „mwilijo“ gekrakelt steht. Das ist der Name eines „ukoo“, einer matrilinearen Verwandtschaftsgruppe, man könnte auch sagen, einer Großfamilie. A. hat die Kiste damit verziert, es ist seine Herkunftsgruppe im Dorf Miungo, in dem er geboren wurde. Auf einer anderen Kiste steht „dume la mbwa“, ein männlicher Hund, die Bedeutung der Aufschrift entgeht mir aber, man muss ja nicht alles verstehen. Die Kisten stammen ursprünglich aus der Tansanischen Nationalbank, wenn sie ausgemustert werden sammeln sie ein paar Schlauberger ein und verkaufen sie für umgerechnet einen Euro auf der Straße. Ob da früher einmal Millionen und Abermillionen von Tansanischen Schillingen drin gelagert wurden? Weiß ich auch nicht.

Ob da mal Millionen von Tansanischen Schillingen drinnen waren?Die ersten verlassen die Diskussionsrunde, stecken die gemeinsam benutzten Werkzeuge zurück in die Tüte und stellen ihre Schuhe auf der Straße auf. Ich gehe mit vor und setze mich mit A. auf einen der viereckigen Betonkübeln am Straßenrand, in denen wohl mal Blumen wachsen sollten, die man aber stattdessen mit ihrer undefinierten staubigen Füllung und ohne Blumen dem ergrauenden Schicksal der Stadt überlassen hat. Es ist bereits halb zwölf vormittags, und A. eröffnet mir, dass es sich nicht mehr lohnen würde für ihn, jetzt in Rotation zu gehen. Er geht wie jeden Tag kurz vor eins in die Moschee, gemeinsam mit H. und M., zum Mittagsgebet. Später dann wieder um vier Uhr nachmittags. Diese Zeiten geben vor, wann er Schuhe verkaufen kann und wann er sich vor seinem Gott verneigt.

Nach dem Gebet gehen wir in die Straßen, gleich zu Beginn kommt uns eine Frau entgegen. Ihr Blick haftet einen Bruchteil einer Sekunde zu lange an einem der Schuhe, die an A.´s Arm baumeln. Blitzartig reißt A. seine Schritte herum und stürzt in der entgegengesetzten Richtung der Frau hinterher, holt sie ein und beginnt auf sie einzureden. Er klinkt sich dabei in ihr Schritttempo ein und beobachtet ihre Augen. Sie bleiben stehen und die Frau fasst den Schuh an, fragt nach dem Preis und bekommt erwidert, dass sie doch erstmal sehen solle, wie gut der Schuh an ihrem Fuß aussieht. A. verkauft ihn und macht 1 Euro Gewinn, „zum Essen“, wie er sagt. Er ist zufrieden. Es ist ein Montag, der schwerste Tag der Woche für den Straßenhandel, da die Leute nach dem Wochenende nicht gewillt sind Geld auszugeben, wie man mir erklärt hat. So ab Donnerstag wird es besser. Noch dazu ist es die letzte Woche vor Iddi Mossi, dem Ende des Fastenmonats Ramadan, eine harte Zeit für die Straßenhändler. „Nyama ngumu, haitafuniki“ sagen sie, zähes Fleisch, das sich nicht zerkauen lässt. Viele der Straßenhändler selbst fasten auch, nicht ein Schluck Wasser geht über ihre Lippen von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Iddi Mossi wird heiß ersehnt, aber Geld für Reis und ein bisschen Fleisch für den traditionellen Pilau muss erst einmal verdient werden.

Er fragt mich, ob ich eigentlich mit nach Miungo komme, wenn die Erntezeit für Cashew-Nüsse im September beginnt. Viele der Schuhverkäufer an unserem Maskani werden dann in ihre Heimatdörfer im Süden des Landes fahren, um den Eltern bei der Ernte zu helfen und um Waren aus Daressalam im Dorf zu verkaufen. Die Erntezeit ist die einzige Zeit, wenn die Menschen im Dorf Geld in der Tasche haben, eine gute Gelegenheit also ihnen gebrauchte Kleider aus der Stadt zu bringen. Der Maskani wird dann etwas weniger bevölkert sein, so wie ich das letztes Jahr erlebt habe. Einige bleiben zwei oder drei Wochen, manche einige Monate. Anschließend nehmen sie wieder ihr Leben in der Stadt auf.

Endsungeil: in Tansanische Stadtbusse einsteigen. Foto (c) Link Reuben 2011Nach der zweiten Gebetszeit des Nachmittags gehen wir zu „Mariedo“, einer Straßenecke an der zentralen Bushaltestelle „Posta“, wo sich einige der Jungs jeden Nachmittag niederlassen um ihre Schuhe auszulegen. Hunderte von Menschen strömen nun vorbei, die ihre Büros verlassen haben und sich nun mit den elend überfüllten Dreckschleudern von Minibussen auf den Weg in ihre Wohnviertel außerhalb des Zentrums machen. Mittags können A. und seine Kollegen hier nicht „lauern“, da sie der private Wachmann des anschließenden Business-Komplexes dann grundsätzlich vertreibt. Nachtmittags ist er entspannter, vielleicht einfach auch nur zu faul um ständig mahnend auf und ab zu stolzieren, mit tiefschwarzer Uniform, Schulterklappen und Dienstmütze eine Karikatur seiner selbst. Wir alle sind platt von dem langen Fußweg durch die Stadt, sitzen wortlos auf dem staubig-warmen Asphalt und lehnen mit dem Rücken an die Wand eines 20-stöckigen Hochhauses. Ich recke den Kopf nach hinten und sehe an der gekachelten Wand entlang nach oben in den Himmel. Ein Flugzeug wird von einer strahlend weißen Wolke verschluckt.

Gegen halb sechs erhebt sich A., er will zurück zum Maskani um seine Schuhe wieder in der Holzkiste einzulagern, bis morgen wieder alles von vorne beginnt. Er will nicht zu spät kommen. Wenn um halb sieben der Muezzin zuhause in Mbagala ruft, will er gemeinsam mit seiner Familie auf einer Matte vor dem Haus sitzen, um mit dem heutigen Fasten zu brechen.

Montag, 16. Juli 2012

Viele verschiedene Wörter die alle irgendwie miteinander zusammenhängen

Ich tauche in unnachgiebige Schwüle wie in ein warmes Bad. 30 Grad drücken morgens um 7. Die Fenster in der Gangway vom Flieger zum winzigen Mwalimu Julius Nyerere Airport sind geöffnet und es weht ein warmer Wind durch die kantige Röhre. Der Mobilfunkanbieter Airtel hat das Innere des Gangs mit großen roten Werbeplakaten ausgekleidet. Ein junger Massai mit langen Rasta-Zöpfen und Mobiltelephon in der Hand grinst mich an. Das Brausen der Triebwerke des Fliegers weht mit dem Wind herein. Und dann ist da noch dieser Geruch, feucht und modrig, wie im Matratzenlager einer Berghütte. Aber dampfig, brenzlig, irgendwo wird etwas verbrannt. Irgendwo wird eigentlich immer irgend etwas verbrannt in Tansania. Dieser Geruch wird aber nicht zusammen mit dem Maschinenlärm herein geweht, sondern ist einfach da, er ist der stehende Grundton des Akkords. Als ob der Boden ihn ausstrahlen würde. Es ist genau dieser Geruch, der es einen nie vergessen lässt, wo man ist, auch wenn man die Augen schließt und auf dem MP3-Player seine Radiohead-Sammlung durchhört. Und mit dem schwül-modrig-brenzligen Geruch stellt sich wieder dieses bodenlose Gefühl der Einsamkeit ein. Bodenlos deshalb, weil der bedingungslose Eindruck der Fremde, der sich in diesem Geruch bündelt, eine emotionale Falltüre in mir aufstößt, durch die all meine Lebensgewissheiten mit einem Mal runter fallen und nur die Frage zurückbleibt, wie man eigentlich alleine funktionieren kann.

Der Flughafen liegt südlich der Stadt in einem hässlichen Industriegebiet, dass ich mit meinem Nachbarn und Taxifahrer Ben durchkreuze. Der Stau hat den Verkehr wie immer fest im Griff, so dass wir für die wenigen Kilometer bis zum Stadtzentrum eine geschlagene Stunde brauchen. Selbst die großen Ausfallstraßen sind in Daressalam in der Regel einspurig. Die Infrastruktur der Stadt war nie für die Dimensionen angelegt worden, die die Hafenmetropole heute einnimmt. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, nein, das ist zu abgedroschen. Das muss man sich mal in die gottverdammten Gehirnwindungen einschrauben, schon besser: In den vergangenen einhundert Jahren hat sich die Einwohnerzahl Daressalams in etwa vertausendfacht. Um 1905 lebten in dem kleinen Nest, hinter einer Hafenzeile von zweistöckigen Verwaltungsgebäuden der deutschen Kolonialisten, in verstreuten Hüttenansammlungen etwa 3500 Menschen. Heute wird die Einwohnerzahl auf 3,5 Millionen geschätzt, wobei eigentlich niemand genau weiß, wie viele Menschen es tatsächlich sind, geschweige denn, wo Daressalam denn nun anfängt, und wo es aufhört. An der Bucht liegt das dicht gedrängte Geschäftszentrum der Stadt. Zwischen vergilbten Betonklötzen aus den Sechzigerjahren penetrieren verspiegelte Hochhäuser die Skyline, dazwischen die ewigen Baukräne chinesischer Provenienz, und hohe, mit wehenden Plastikplanen verpackte Baugerüste, wie die flatternden Gespenster des Traums einer städtebaulichen Moderne.

So viele Leute und jeder anders, außer ich. Fähre nach Kigamboni. Foto (c) Link Reuben 2011Im Westen des Zentrums das Marktviertel Kariakoo, benannt nach den „Carrier-Corps“, den afrikanischen Trägern, die von den späteren britischen Kolonialherren hier im Schachbrettmuster angesiedelt wurden. Das drängelnde Treiben auf der Mtaa wa Kongo, die sich am einen Ende wie ein Trichter verjüngt, so dass die Passanten, ähnlich dem Vieh im Schlachthof, an der Engstelle gezwungenermaßen auf Tuchfühlung mit den allgegenwärtigen Taschendieben gehen müssen. Sehr viel eher „mein Afrika“ als Serengeti, Kilimandscharo und Trommeln am Lagerfeuer.

Hinter Kariakoo, im Westen, Norden und Süden, die Wohnviertel der Millionen Stadtbewohner. Unverputzt grau, einstöckig, wellblechbedacht, staubstraßig, eng und laut. „Uswahilini“. „bei den Swahilis“ lebt die Mehrheit der Menschen in Verhältnissen, die man irreführenderweise bei uns gerne als „einfach“ bezeichnet. Ich melde hiermit Zweifel an der Einfachheit dieser Umstände an und bin stattdessen lieber erstaunt darüber, wie die Leute im Anzug und im Business-Kostüm herausgeputzt aus diesen Wohnvierteln heraus stolzieren und mit den runtergerockten und notorisch überfüllten Dreckschleudern von Minibussen ins Stadtzentrum fahren, um ihrer schlecht bezahlten Arbeit in irgendwelchen Büros nachzugehen. Die paar Touristen aus Europa, mit Cargo-Hose, Wasserflasche, Großwildjägerweste und Bergschuhen in den Straßen der Stadt nehmen sich daneben irgendwie ungehobelt aus.

Der alte Stromkasten checkt das CD-Angebot aus. Downtown Dar. Foto (c) Link Reuben 2011Kurz bevor wir im Stadtzentrum an jener weltberühmten Straßenecke vorbeikommen, die regelmäßige Leser dieses Blogs nun selbst im Schlaf oder wahlweise mit verbundenen Augen, geknebelt und gefesselt im Kofferraum eines Autos eingesperrt, als Hauptschauplatz der hier angesammelten Texte identifizieren würden, biegen wir scharf nach rechts ab, dann gleich wieder nach links, und fahren am Hafen entlang in Richtung der Fähre. Sie wird mich zum luftig-grünen Zipfel jenseits der „Bucht des Friedens“ übersetzen. Ein infrastruktureller Alptraum, sind die knapp 200 Meter, die mangels einer Brücke mit zwei kleinen Fährschiffen überquert werden müssen, dennoch in gewisser Hinsicht ein Segen. Jenseits dieser paar Meter indischen Ozeans ist die enge Stadt plötzlich weiter weg, als sie tatsächlich ist. Hier gibt es keinen Lärm und keinen Stau. Stattdessen Kühe, Kokospalmen, das Türkis des Ozeans im Augenwinkel, das Grün der dichten Vegetation vor mir und den ostafrikanischen Himmel blau darüber. Die Stadtverwaltung plant eifrig eine Brücke, oder sogar zwei, und am besten noch eine Unterführung (!) unter der Bucht auf die andere Seite, um dieses wertvolle Stück Land endlich an die Stadt anzuschließen. „Mji Mpya“ soll das werden, die neue Stadt. Am Reissbrett entworfen, im Computer simuliert, für die Reichen ein Geschenk, für die ländlichen Bewohner der anderen Seite das Ende ihrer ruhigen Tage. Aber für die ist die neue Stadt ja bitte auch nicht gedacht.

Auf der anderen Seite, nach einigen Minuten Fahrt, an der Ecke, an der einst ein riesiger Mangobaum den Mopedtaxi-Fahrern Schatten spendete, bevor er vor einigen Wochen umgeholzt wurde, biegen wir rechts ein. Jetzt sitzen die Jungs in der prallen Sonne auf ihren indischen und chinesischen Motorrädern, winken mir überrascht zu. Sie alle kennen mich, schließlich nehme ich gerne und fast täglich ihre Dienste in Anspruch, und so viele Bleichgesichter navigieren sie nun auch wieder nicht um ihre Schlaglöcher herum. Durch ebendiese müssen Ben und sein Taxi sich quälen, um den Weg ans andere Ende des Dorfes zu finden, zum Compound meines Vermieters Johnson, in dessen Hof ich nun sitze und auf solche Art und Weise auf die Knöpfe meines Computers drücke, dass dabei irgendwie diese Zeilen zustande kommen. Die aufscheinenden Pixel stehen für Buchstaben, die wir zusammensetzen zu sogenannten Wörtern, die, in Reihe gesetzt, einen Sinnzusammenhang namens Satz ergeben. Das ganze steht wiederum für transkribierte Lautabfolgen, die wir eigentlich mit unseren Atem- und Sprachorganen erzeugen, ihr kennt das sicher. Mit diesen Lauten verweisen wir im Allgemeinen auf Dinge, die wir in der Welt wahrzunehmen glauben. Aber diese Laute und Worte, diese Pixel, Buchstaben und Sätze - sie sind nicht diese Dinge, oder? Wunder der Welt, des Lebens, oh Wunder der Technik. Ich kann dir, lieber Leserin, leider nicht erklären, wie das alles funktioniert, bin aber insgeheim begeistert. Und benutzen wir nicht jeden Tag diese Dinge, auch Computer, und drücken darauf herum als hinge unser Leben davon ab? Und wissen dabei gar nicht, wie das eigentlich funktioniert? Faszinierend.

Freitag, 29. Juni 2012

Alles Wüste?

Neulich in der Spiegelhalle des Theater Konstanz, die vierte Veranstaltung des Projekts "Alles Wüste? Forschungsreisen nach Afrika."

Thomas Kirsch, "Frau Professor" Susi Wirth, und ich. Foto Julia Scheller

Gebrauchte Schuhe, Polizeirazzien, Zukunftsängste: Armut ist Alltag in Afrika. Doch wie sieht die Zukunft aus, wenn man jeden Tag bei Null startet? Zwei Forscher – ein Thema. Das ist Ausgangslage für eine ethnologische und künstlerische Beschäftigung mit einem unbekannten Afrika. Zum vierten Mal trifft sich »Frau Professor« Susi Wirth mit einem Ethnologen zu einem Glas Wein. Diesmal mit Alexis Malefakis, der gerade in Tansania die Geheimnisse eines Straßenschuhverkäufers studiert hat und seine taufrischen Forschungsergebnisse nun in der Spiegelhalle mit »Frau Professor« live diskutiert. Prof. Dr. Thomas G. Kirsch, diesmal als »Special Guest«. Ein Schlagabtausch der anderen Art – mit Powerpoint und Akkordeon.

vlnr. Thomas Kirsch, "Frau Professor" Susi Wirth, und ich.

Montag, 28. Mai 2012

zhn ml sbzg zchn

Manche sagen, wenn wir mit anderen Menschen kommunizieren werden wir zu Schauspielern: Wir haben ein einstudiertes Repertoire an Gestik und Mimik das unser Gegenüber deuten kann, weil es zur gleichen Theatertruppe gehört und mit den gleichen Gesten und Minen auf unsere Darstellung reagiert. Wir teilen dieses Repertoire, weil wir alle irgendwie zur gleichen „Kultur“ gehören, oder so ungefähr wissen, welche Gesten und Minen in der „Kultur“ unseres Gesprächspartners als akzeptabel gelten.

Als Feldforscher... ein durch und durch bescheuertes Wort, an dessen statt ich außerdem ständig „Feldfroscher“ in die Tastatur wurstfingere, weshalb ich es fortan durch das schönere Wort „Feldfrosch“ ersetzen werde. Der Feldfrosch also performt auch, vor zwei Publika noch dazu: Einmal natürlich stehen wir auf der Bühne der Wissenschaft, wo wir uns und unsere Leistungen vor den Kollegen und Kolleginnen zumeist schriftlich Aufführen. Auch hier gelten kulturelle Konventionen, die in anderen „Kulturen“ nicht unbedingt bekannt oder praktikabel sind.

Noch davor aber, man sollte es nicht vergessen, performen wir uns vor den Menschen denen wir im Alltag unserer Forschung begegnen, und denen wir erklären wer wir sind und was wir von ihnen wollen. Diese Aufführung findet zunächst ohne Probe statt, aus dem Stegreif, und ein anerkanntes Repertoire an Gesten und Minen dafür gibt es eher nicht. Der Feldfrosch quakt erstmal nach dem Prinzip trial-and-error und hofft auf den berühmten „informed consent“: auf das Verständnis der Menschen für das was er von ihnen will, und dass sie darüber hinaus auch noch damit einverstanden sind, dass der Feldfrosch sich bis auf weiteres in alles was sie tun und sagen einmischt, und am Ende all das in ein dickes Buch schreibt um seine Karriere voranzutreiben, wovon die Menschen vor Ort dann wiederum herzlich wenig haben. Du siehst also, liebe Leserin, es ist ein schmaler Grat, auf dem da ins „Feld“ gehüpft wird, und über vielen lässt sich streiten.

Wenn es schon kein allgemein bekanntes Repertoire für diesen „Feldeinstieg“ gibt, so gibt es doch anerkannte Requisiten dafür: Notizblock und das Aufnahmegerät zeigen allen Menschen im „Feld“ an, dass dieser Frosch gekommen ist, um „Daten“ für die Analyse mit nach Hause zu nehmen. Den Notizblock aus der Tasche zu ziehen, während man mit einem neuen Freund an der Straßenecke sitzt und dieser einem gerade intime Details aus seinem privaten Leben offenbart, kommt praktisch einer Entzauberung des Alltäglichen gleich: Gerade waren wir noch Freunde, ganz normal, die sich Geschichten aus ihrem Leben anvertrauen. Auf einmal heißt es „Vorhang auf für das Theater der Feldforschung“: „Was dagegen wenn ich mir das eben notiere, wie dir damals deine Frau das Herz gebrochen hat?“ Die Beziehungen zu den Menschen im „Feld“ sind eben von doppelter Natur, einerseits freundschaftlich, zum anderen aber eben auch professionell (zumindest für den Feldfrosch). Die Requisiten der Feldforschung markieren diesen Übergang, den Szenenwechsel. An welchem Punkt aber ist eine Beziehung zu einem neuen Freund stabil genug, um eine solche Umdeutung zu überleben?

Hier besteht kein Zweifel: Der Feldfrosch mit Aufnahmegerät ist gekommen um "Daten" mit nach Hause zu nehmen.
Auf der Bühne der Forschung: Das Aufnahmgerät aus
der Tasche gezogen.
Foto © Link Reuben 2011


Ich habe mir diese Frage oft gestellt, als ich anfing, mit den Straßenhändlern abzuhängen. Und ich muss ehrlich sagen: Oft hatte ich Angst, dass ich zu neugierig erscheine und man keine Lust mehr hat mit mir zu reden, wenn das allgemeine Geschnatter und Gequake am Maskani dann immer gleich von diesem komischen weißen Frosch aufgeschrieben wird. Also habe ich es oft einfach bleiben lassen. Wobei, das stimmt nicht ganz. In manchen Fällen habe ich durchaus Notizen gemacht. Aber dabei habe ich eine Requisite der lokalen Bühne verwendet.

Denn wir alle spielen nicht nur Theater, wir alle tippen auch ständig auf unserem Mobiltelefon herum. Auch wenn sie meistens kein Geld haben um sich Telefonguthaben zu kaufen, so haben doch fast alle meiner Freunde ein Mobiltelefon, wie schrottig auch immer. Wenn die Nachmittagsstunden an der Straßenecke lang wurden und keine Kundinnen vorbeikamen, fand ich immer einige Jungs die gelangweilt auf die Displays ihrer Telefone starrten, Musik auf den eingebauten MP3-Playern hörend, Fotos von der Kamera des Telefons ansehend, oder Kurzmitteilungen lesend und schreibend. Manches Mal haben wir uns über verschiedene Typen von Telefonen oder die Vorzüge von Originalen (wie meinem) gegenüber chinesischen Imitaten (wie die meiner Freunde) unterhalten. Ich wurde um Übersetzung gebeten, wenn einer meiner Freunde eine englischsprachige Werbe-Mitteilung seines Anbieters erhielt, oder er Probleme mit dem Menü seines Telefons hatte. Zu meinem „Feldeinstieg“ gehörte auch das Austauschen von Telefonnummern und das Kommunizieren per Anruf oder Kurzmitteilung.

Wenn also mein Kopf voll war von Eindrücken und Informationen, gab mir das Telefon eine Möglichkeit, schnell ein paar Dinge in die „Memo“-Funktion zu tippen, ohne dabei als der aufdringliche Eindringling zu erscheinen, der ich ja eigentlich bin. Ich zog also den Vorhang in diesen Situationen nicht zur Seite, sondern beließ einen Teil der Feldforschung unsichtbar hinter den Kulissen und den Requisiten. Nach einem Gespräch mit einem meiner Freunde konnte ich mich hinsetzen und rasch notieren „Ms vrhrtt schwstr rshd, glch drf“. Aber was bitte sollte das heißen?

Genauso überrascht war ich, wenn mich eine Kurzmitteilung eines meiner Freunde erreichte, etwa wie „vp m2 wng? cjui 2ktane lni“. Weil die Zeichenanzahl für Mitteilungen begrenzt ist, haben sich bestimmte Konventionen der Abkürzung für Kurzmitteilungen herausgebildet. Vokale werden grundsätzlich ausgelassen, und die Kiswahili Vorsilben „tu-“ („wir“) oder „si-“ („ich...nicht“) durch die englischsprachigen Homophone „2“ und „c“ ersetzt. Die Kurzmitteilung bedeutete also „vipi mtu wangu? sijui tukutane lini“, zu Deutsch „was geht ab mann? ich weiß nicht wann wir uns treffen sollen“. Diese lokalen Konventionen der Kommunikation habe ich mir angeeignet um die zehn mal 70 Zeichen der „Memo“-Funktion meines Samsung E1120 möglichst erschöpfend für kurze Notizen im „Feld“ zu nutzen. Obiges Kryptogramm heißt also tatsächlich „Mussa ist verheiratet mit der Schwester von Rashid, sie kommen aus dem gleichen Dorf“.

„Informed consent“ habe ich für diese Praxis der Feldforschung nicht erfragt, ich bekenne mich schuldig (Abgesehen davon aber wissen selbstverständlich alle am Maskani über meine Forschungsabsichten Bescheid). Mein Telefon auf diese Weise umzunutzen erlaubte mir aber, meine körperliche Performance an die lokalen Gegebenheiten anzupassen: Zumindest für einige Momente kam der Feldfrosch zur Ruhe und tat etwas völlig „normales“, nämlich rumhängen und in sein Telefon starren.

Das alles hat mir in den ersten Wochen den Einstieg erleichtert. Die kleinen Informationen, die ich so sammelte, haben mich zu einem besseren Klatschmaul gemacht, weil ich mir nach und nach mehr merken konnte. Ich konnte also immer mehr an den Gesprächen teilnehmen. Später übrigens habe ich es dann doch vorgezogen die anerkannten Requisiten hervor zu kramen und ins gleißende Rampenlicht der Feldforschung zu springen: Quak quak.

Montag, 21. Mai 2012

"Alexis filmt mich damit man mich in Deutschland sieht"

...bitte sehr (auf Bild klicken):

muvi1
(c) Link Reuben und Alexis Malefakis 2012

Featuring:
Andumi
Chedo
Mako
Hashiri
Ndolanga
Babkubwa
Mtanga
Wa Kusepa
Dulatax
Ibra
Wa Majukumu
Dickson
P Diddy
Kamale
Rashidi
Charles
Nasolo

Gewidmet den "Jungs" vom Maskani.

Freitag, 4. Mai 2012

Einheimischgehen

Schwer zu sagen, wie schockiert er gewesen sein mag, der heilige Ambrosius. 387 fand er sich eines Samstags in Mailand an voll gedecktem Tische, während seine Gebetsbrüder im heimischen Rom üblicherweise samstags fasteten. Schwamm drüber, dachte sich der Kirchenvater, „cum Romanum venio, ieiuno Sabbato, cum hic sum, non ieiuno“. Klug hat er das gesagt, so klug, dass Barbra Streisand sich 1964 sein programmatisches Diktum auslieh und das mittlerweile auch schon wieder vergessene „When in Rome, I do as the romans do“ trällerte. Die Bangels übernahmen 1987 das Thema dann irgendwie in „Walk like an Egyptian“, brachen es so auf das Niveau der allgemeinen Knalloballo-Kultur herunter.

Manche sagen ja „Kultur“ wenn sie an Musik, Theater oder Literatur denken. Andere sagen, die Amerikaner zum Beispiel hätten gar keine, sondern nur große Autos, schlechte Ernährung und diese bunten Fähnchen überall. Wenn man dann genauer darüber nachdenkt stellt man fest, dass man gar nicht genau sagen kann, was denn Kultur nun sein soll. Ist es das, was wir Essen nicht genauso wie das, was wir mit Hilfe von Sprache hervorbringen? Und unsere ästhetischen Urteile bezüglich Kleidung, Wohnungseinrichtungen, Frisuren, sind das nicht auch kulturelle Erscheinungen, die zum Beispiel schon zwischen München und Konstanz unterschiedlich ausfallen? So viele alltäglichen Handlungsabläufe vollziehen wir völlig unreflektiert. Und erst wenn man sich aus der eigenkulturellen Perwoll-Komfortzone einmal herauswagt und in fremde Gefilde begibt, merkt man, was da alles skriptartig abgespult und niemals hinterfragt wird. Irgendwie ist alles, was Menschen machen, doch kulturell, und das eben überall ein bisschen anders, wie der Ethnologe bestätigen kann.

Wenn Kultur nicht gerade in Theaterstücken und dicken Schmökern vorliegt, kann man sie auch als eine Art „zweite Umwelt“ verstehen, eine Art Schnittstelle, mit der jeder Einzelne an seine soziale und natürliche Umwelt andockt. Diese Schnittstelle ist uns in großen Teilen gar nicht bewusst, sondern wächst mit uns, während wir in unsere soziale Umwelt hineinwurzeln.

Es ist dann gar nicht so leicht, diese unterbewussten Skripte zu überwinden, wenn man versucht, sich in eine andere „Kultur“ einzufinden. Es dauert seine Zeit. Man muss die eigenen Vorannahmen, die meist eben unbewusst sind, auf die Seite schieben, und versuchen, die Vorannahmen der Leute um einen herum so weit wie möglich zu verstehen. Das ist nicht zuletzt der Grund, warum Ethnologen bei ihren Forschungen so lange Zeit vor Ort bleiben. Angefangen bei körperlichen Routinen. Wie oft bin ich in Dar in Leute reingelaufen, die mir auf der Straße entgegenkamen (ein rhetorische Frage)? In Deutschland gehen wir rechts aneinander vorbei, das mag dem Rechtsverkehr unserer Straßen geschuldet sein. In Dar jedenfalls zielt man auf die linke Seite seines Entgegenkommers.

Das ist aber nicht gemeint mit dem Begriff "going native". Gemeint ist damit eine ethnographische Pathologie: Feldforscher, die sich in ihrer Gastgesellschaft irgendwann mehr zuhause fühlen, als dort, wo sie einst hergekommen sind.

Lange Zeit saß ich an der Straßenecke und habe nicht verstanden, nicht verstanden was die Leute reden, was die Leute machen, warum sie lachen, wenn ich versuche etwas geistreiches von mir zu geben. Mittlerweile ist das anders. Ich bin über mich selbst erstaunt, wie selbstverständlich ich mich in der Straße bewege, Dinge intuitiv verstehe, die mir zu Beginn meiner Zeit ein Rätsel waren. Die Kunst der Ethnographie ist ja letztlich das, was nun für mich selbstverständlich geworden ist, wieder zu entblättern. Und Dinge, die man nicht reflektiert ganz explizit in allen Einzelheiten auszubuchstabieren ist keine leichte Aufgabe.

Aber soweit bin ich noch nicht. Nun bin ich erst mal zurück im Ländle, jawohl, Konschdanz hat mich wieder. Also laufe ich nun auf der anderen Seite in die Leute rein. Verzeiht, liebe Konschdanzer, ich weiß nicht ob ich hier zu Besuch bin, oder ob ich hier zuhause bin, oder wo ich denn nun hingehöre. Mein Koffer steht jedenfalls noch mehr oder weniger unausgepackt in meinem Zimmer.

Freitag, 20. April 2012

Kein schöner Text, dafür mit Nachtisch

Oh oh, das wird nicht leicht. Eine Gratwanderung, eine dünne Linie auf der ich mich bewege. Links und rechts davon lauern Unverständnis, Eurozentrismus, Überheblichkeit, Depression. Aber das hier ist mein privater Blog, und ich habe ihn eröffnet um meine privaten, intimen Erlebnisse und Eindrücke in Textformen zu pressen. Auch wenn´s weh tut. Also steht mir bei, Freunde.

Es tut mir in der Seele weh zu sehen, wie meine Freunde sich Tag für Tag abrackern und doch nie, nie, nie von der Stelle kommen werden. Wie sie ihre Kinder gerade mal mit dem nötigsten versorgen und schon an ein paar Schillingen für Schulbücher scheitern. Wie sie an Krankheiten leiden, die bei uns in Deutschland mit Tabletten für ein paar-Mark-und-fufzig aus der Welt geräumt wären. Wie sie von ihren politischen Führern herabgewürdigt, von der Stadtverwaltung verjagt, von ihren Mitbürgern verachtet werden.

Es ist mir peinlich, wenn sie mich fragen, ob es bei uns in Deutschland auch Arme gibt. Ich denke an die Hartz-IV-Diskussionen und trau mich gar nicht zu sagen, dass wir vom Staat bezahlt werden, wenn auf dem Arbeitsmarkt mal nix geht. Die Armut, mit der ich hier konfrontiert bin, bereitet mir körperliche Schmerzen, schlaflose Nächte, einen Klos im Hals, einen Druck im Kopf, dass ich am liebsten zerspringen will. Dabei ist der Reichtum dieses Landes allgegenwärtig. Ich sehe eine Millionenstadt voller junger, kraftvoller Menschen, die arbeiten wollen, aber keine Chance bekommen. Wieso kommt Tansania nicht aus diesem absurden Zustand der Armut heraus?

„Maji yanafuata mkondo“ sagt man mir, das Wasser folgt dem Flusslauf. So einfach. Die Lebenswege gleichen sich. Der Vater als armer Tropf vom Dorf in die Stadt gekommen. Dort ein Leben lang geschuftet. Erst Plastiktüten auf dem Markt verkauft, später mit einem Karren die Einkäufe der Besserverdienenden durch die Stadt befördert. Gebrauchte Kinderkleider zum Verkauf durch die Straßen getragen. Oder Schuhe, Zigaretten, Rattengift. Als der Körper im Alter müde wurde eine kleine Holzbude am Straßenrand, Schuhe putzen, bis er blind wird und ihm die Zähne ausfallen. Aber was heißt hier im Alter? Die durchschnittliche Lebenserwartung in Tansania beträgt irgend so etwas wie 58 Jahre. Da spricht man bei uns noch vom „zweiten Frühling“ und plant die Weltreise, die man als junger Mensch verpasst hat. Krankenversicherung und Gesundheitsvorsorge gibt es hier nicht. „Wir sind nicht wie die wazungu, die Weißen. Wir gehen nicht zum Arzt, um mal zu sehen wie es so um die Gesundheit steht,“ sagen meine Freunde auf der Straße. Sie werden eines einfach Tages krank, vielleicht klappen sie auch komplett zusammen und sterben einfach ein paar Tage später.

„Wenn einer von uns krank wird, dann legen wir zusammen, um ihn ins Krankenhaus zu schicken.“ Das machen die Jungs aber nicht beliebig oft. „Wenn wir sehen, nach ein oder zwei Krankenhausbesuchen wird es nicht besser, legen wir zusammen für ein Busticket nach Hause ins Dorf.“ Im Dorf gibt es dann außer dem „mganga“, dem Medizinmann, ansonsten keine Behandlung mehr. Aber wenigstens ist man im Kreis der Familie. „Viele haben wir schon so nach Hause geschickt. Keiner ist wiedergekommen,“ sagte mir einmal mein Freund M. kopfschüttelnd.

Hinterhof in Tandika, Daressalam.
Hinterhof in Tandika, Daressalam.

Erst vor einigen Tagen starb das wenige Monate alte Kind eines meiner Freunde. Ein paar Tage später das Neugeborene eines anderen Freundes. Schon das Zweite. Die Ärzte hier kennen Malaria und Antibiotika, wenn das nicht hilft, sind die Leute auf sich selbst gestellt. Ich habe noch nie so viele Leute um mich herum sterben gesehen.

Das alles macht mir Angst. Die strukturelle Armut hier lässt sich nicht mit ein paar Finanzspritzen aus der Welt schaffen. Die Armut betrifft nicht nur die Körper der Menschen, sondern auch ihren Geist. Alles dreht sich hier ums Geld. Jedes Gespräch, jeder Lebenstraum, jede soziale Beziehung hat, explizit oder nur unterschwellig, Geld zum Thema. Frauen sind bei ihrer Partnerwahl voll und ganz auf dessen finanzielle Perspektiven fixiert. Da keiner konstant Geld nach Hause schaffen kann, ist es nicht unüblich, mehrere Partner zu haben. Die Grenzen zur Prostitution sind oft fließend. Und weil tansanische Männer richtige Männer sein wollen, sind Kondome natürlich tabu für sie. Ungewollte Schwangerschaften führen zu Kindern, um die sich keiner kümmert. HIV/AIDS zerstört die Leben von Millionen Menschen. Aber das scheint den ganzen Kerlen hier egal zu sein. Tut mir leid, liebe Tansanier, aber das sind keine Folgen des Kolonialismus und das hat auch nichts mit dem kapitalistischen Weltsystem zu tun. Ihr macht euch selbst kaputt mit eurer Ignoranz.

Ich habe gesagt, es wird nicht schön diesmal. Die Fixierung auf Geld und den eigenen Vorteil zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten. Was am oberen Ende der Gesellschaft wie selbstsüchtige Kleptomanie aussieht, ist in der Mitte und am unteren Ende Diebstahl, Lüge, Betrug aus Angst, aus Verzweiflung, aus der Hoffnung heraus, sich einen kleinen Vorteil in dieser Schlangengrube von Gesellschaft zu verschaffen. Es herrscht das Recht des Stärkeren in Tansania.

Schön zu beobachten beispielsweise im Straßenverkehr. Ich kriege das kalte Kotzen wenn ich auf dem Weg in die Stadt von den Autos nur so gejagt werde. Wer würde es in Deutschland wagen mit dem Auto auf dem Bürgersteig zu fahren, und dann auch noch die Frechheit zu haben, Fußgänger mit der Hupe zu verscheuchen? Hier ganz alltäglich, und die Leute um mich herum sehen noch nicht mal einen Anlass, sich bei den Auto-Prolos zu beschweren. Sie sind es anscheinend gewohnt, keine Rechte zu haben. In Deutschland, so denke ich, haben wir eine Kultur, in der wir versuchen sozial schwächere irgendwie mitzutragen. Seine privilegierte Position nach außen zu kehren und sich als Macker zu geben gilt uns irgendwie als peinlich. Ich käme nie auf die Idee einen Behinderten auf der Straße auszulachen oder mich über den Nachteil eines anderen zu freuen. In Tansania dagegen gilt ein einfaches Prinzip: Der große Fisch frisst den kleinen.

Wer könnte einen Ausweg schaffen aus dem Teufelskreis aus Armut, erbärmlicher Bildung, Arbeitslosigkeit, Krankheit, ungeplanten Schwangerschaften, AIDS? Wie wäre es mit der Regierung? Aber welches Interesse kann eine Regierung daran haben, ihre Bevölkerung zu bilden und zu mündigen Bürgern zu machen? Wenn die Tansanier endlich die Fußball-Zeitschriften aus der Hand legen und die Politikseiten ihrer Zeitungen lesen würden wäre das sicher nicht zum Besten der „Chama cha Mapinduzi“, der „Partei der Revolution“. Sie ist seit der Unabhängigkeit 1962 an der Macht, also seit fünfzig Jahren. Die Netzwerke in diesem Alt-Herren-Club sind etabliert und ausgebaut, da möchte keiner daran rütteln. Sie werden seit Jahrzehnten von ausländischen Finanzhilfen gespeist.

Und die desolate Lage der Bevölkerung betrifft diese Leute natürlich nicht: Ihre Kinder studieren in Oxford und Yale. Und wenn einer von ihnen krank wird, geht er nicht ins staatliche Krankenhaus und wartet fünf Stunden bis er den unterbezahlten Arzt bestechen darf, sondern fliegt nach Europa oder die USA, auf Staatskosten, versteht sich. Warum also, sollten sie etwas am Zustand ihres Landes ändern wollen? Es funktioniert doch super!

Die sambische Autorin Dambisa Moyo würde vorschlagen, den afrikanischen Regierungen den finanziellen Hahn zuzudrehen. Was als Marshall-Plan für das Nachkriegseuropa gut funktioniert hat, nämlich durch finanzielle Hilfe von außen eine nachhaltige Entwicklung zu stimulieren, geht in Afrika voll und ganz nach hinten los. Denn während der Marshall-Plan auf fünf Jahre begrenzt war, haben die afrikanischen Regierungen die Gewissheit, ohne zeitliches Limit Jahr für Jahr Millionensummen auf ihre Konten überwiesen zu bekommen. Warum also auch nur versuchen, auf eigenen Beinen zu stehen? Und das Gutmenschentum in Europa und den USA wiederum denkt, wir müssten unsere sogenannte „Entwicklungshilfe“ auch noch aufstocken, um endlich die Armut für immer zu besiegen. Die einzigen die etwas davon haben, sind die Politeliten, bei den Menschen auf der Straße kommt kein einziger Cent an.

So sitzt Tansania nach fünfzig Jahren Unabhängigkeit jeden zweiten Tag im Dunkeln, weil die Regierung es nicht schafft, genug Strom für das Land zu produzieren. Für mich ärgerlich, weil meine Ananas im Kühlschrank schrumpelig wird. Für jeden kleinen Unternehmer eine Katastrophe. Die Regierung verspricht Linderung und jagt in all ihren Parolen und Programmen dem Phantom „Fortschritt“ hinterher. Ich kann mich nur wundern über die Leichtgläubigkeit der Menschen, die bei jeder Wahl diesem Haufen von Lügnern ihre Stimme gibt.

Frueher oder spaeter wirds Aerger geben.
<br />
Foto (c) Link Reuben
Früher oder später wird es Ärger geben?

2008 wurde der damalige Premierminister Edmund Lowassa seines Amtes enthoben, weil er sich bei einem vorgetäuschten Deal mit einem amerikanischen Stromkonzern bereichert hat. Er hat mit der Firma Dowans einen millionenschweren Vertrag abgeschlossen, um Turbinen für die Stromproduktion zu erwerben. Nachdem über Jahre hinweg Zahlungen von der tansanischen Regierung an diese Firma getätigt wurden, stellte sich heraus, dass es diese Firma gar nicht gibt, und dass ein Großteil des Geldes in der privaten Tasche des Premierministers gelandet war. Strom wurde dabei aus versehen mal eben keiner produziert. Das ist es, was man sich von dieser Regierung in Sachen Problemlösung erwarten darf. Lowassa aber hat heute nach wie vor seinen Sitz im Parlament und frisst sich mit seinen Diäten fett und fetter. Warum, liebe Tansanier, verjagt ihr diesen Mann nicht aus dem Parlament? Ist es euch noch nicht offensichtlich genug, das ihr hier verarscht werdet?

Hier ist das Problem vielleicht Bildung. Wer nicht Bescheid weiß über die Möglichkeiten einer Demokratie, den kann man leicht glauben machen, die Regierungspartei sei die einzige Kraft im Lande, die es überhaupt irgendwie schaffen kann, den „Fortschritt“ anzukurbeln. Einen Zusammenhang zwischen der Dauerregierung der CCM und dem zunehmend schlechteren Zustand des Landes scheint hier niemand herzustellen.

Was soll der weiße Mann nun machen? Ist es meine Aufgabe hier eine Lösung vorzuschlagen? Braucht Tansania noch mehr NGOs, westliche „Entwicklungshilfe“, politische Berater und andere Pfuscher? Ich glaube, die Lösung ist schon hier, nur benutzt sie keiner so richtig: Demokratie. Die Menschen hier haben es selber in der Hand. Um eine andere politische Führung zu wählen brauchen sie nichts von uns. Ich freue mich auf den Tag, an dem Tansania einen politischen Umschwung erlebt. Aber gleichzeitig habe ich auch Angst. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die alteingesessenen Eliten eine Abfuhr durch die Wähler einfach so hinnehmen werden. Wahrscheinlich ist der einzige Grund, warum Tansania noch keinen Bürgerkrieg durchlitten hat die Tatsache, dass die Tansanier so schrecklich unorganisiert sind. Hat ja auch sein Gutes.

Mit diesem Gedanken bin ich wieder versöhnt. Habe ein bisschen Druck aus der Gehirnrinde abgelassen. Ein Mann, der viel schlauer ist als ich, und wahrscheinlich auch besser verdient, hat einmal gesagt: „One of the rewards of deep thought is the hot glow of anger at discovering a wrong, but if anger is taboo, thought will starve to death“ (Jules Henry). Jetzt habe ich mich also satt geärgert. Vielen Dank fürs mitärgern, ich hoffe, es liegt nicht zu schwer im Magen. Zum Abschluss dieses schrecklichen Textes, als Nachtisch sozusagen, noch ein paar klebrig schöne Wörter: Plebiszit. Gewerbegebiet. Holzgang. Auf Wiedersehen.

Donnerstag, 5. April 2012

Unschuld und Öltanker: Was Geld kaufen kann

Unrecht hat, wer behauptet, Ämtergänge seien etwas für Weicheier. Keine Geduld hat, wer nach nur vier Stunden denkt, seine Nummer werde nun wirklich nicht mehr aufgerufen. Glück hat, wer wichtige Leute an richtigen Stellen kennt.

Ich zum Beispiel kenne jemanden, der jemanden kennt, der mir die Telefonnummer von jemandem geben konnte, so dass die Beantragung meiner Aufenthaltserlaubnis mich nur läppische drei Tage auf dem „Amt“ gekostet hat. Andere verbringen fast ihr gesamtes Erwachsenenleben in Warteräumen, am kurzen Ende langer Hebel, die glänzende Klinge der behördlichen Willkür stets an der Kehle ihrer Geduld. Gründlich ist sie, die tansanische Bürokratie. Und korrupt auch, aber das, lieber Leser, zwitschern die Vöglein bereits von den Dächern.

Ein ganzer Berufsstand hat sich in Daressalam rund um die Tücken seines Amtswesens formiert. Wer also einen tansanischen Pass braucht, dem sei hiermit geraten, jemanden zu bezahlen, der die nötigen Papiere, Passbilder und Schmiergelder einsammelt, um sich anschließend an seinerstatt in den Sumpf zu begeben. Als informeller Zubringer, sozusagen, zum normalen formalen Verwaltungswahnsinn. Als Geburtshelfer, sozusagen, für Dokumentschwangere. Gleiches gilt für Autozulassungen, Steuerformalitäten, Geschäftspapiere, Geburts- und Sterbeurkunden.

„Mishentaun“, so nennt man die jungen Männer, die in den Hinterzimmern von Einwohnermelde- und Finanzämtern die Klinken putzen. Die Stadt ist ihre Mission (engl. mission-town – check?). Einer von ihnen ist J. Mit Bügelfalte an der Hose, makellosem weißen Hemd und auf Hochglanz polierter Glatze treffe ich ihn jeden Tag in seinem Büro. Das heißt, er hängt an der gleichen Straßenecke ab, wie ich mit meinen Schuhverkäufer-Freunden. Sein wichtigstes Werkzeug ist sein Mobiltelefon, mit dem er Aufträge entgegennimmt, Sekretärinnen von Sekretärinnen anruft, per Telefonguthaben Schmiergelder verschickt.

Ergibt sich die Gelegenheit, und es kommt ein geschäftig wirkender Chinese um die Ecke gebogen, springt er auch mal auf und zieht eine kleine Plastikschatulle mit Edelsteinen, Tanzaniten, aus der Hose. Meines Wissens mindestens Fälschungen, schlimmstenfalls Diebesgut. Ein anderer meiner „Meshentaun“-Bekannten hat sich an diesen blau durchscheinenden Steinen böse die Finger verbrannt. Einer seiner Kunden wurde von der Polizei gefilzt, und es kam heraus, dass die Steine aus einem Raubüberfall mit Todesfolge stammten. Besagter Bekannter wurde des Mordes angeklagt, war er doch im Besitz der Beute gewesen. Nach elenden Monaten im Gefängnis konnte er sich schließlich per Schmiergeld die Unschuld erkaufen. Ich gehe davon aus, dass er mit dem Raub nichts zu tun, sondern einfach nur Riesenpech hatte. Aber sich von Mordanschuldigungen freikaufen?

„Das hier ist Daressalam,“ sagt mir J., als wir die Geschichte diskutieren. „Ob du einen Freispruch oder einen Öltanker kaufen willst, ich kann dir alles besorgen.“ Für´s erste wäre ich mit einem Schluck Kaffee zufrieden. Wir rufen einen der Jungs zu uns, die in ihren Aluminium-Kannen die schwappende dunkle Brühe durch die Straßen tragen. Während wir an unseren kleinen chinesischen Tässchen nippen, staune ich einmal mehr über die Geschichten, die diese Stadt so hergibt. Gut ist, dass es dieses Internetdings gibt, und auch gut ist dieses Blogdings. Aber noch besser finde ich, dass ich meinen Papierkram für die nächste Zeit erledigt habe.

Dienstag, 6. März 2012

Von Cashews und Elektrohühnern: Perspektiven aus dem Dorf

Mir schwirrt der Kopf. Seit zwei Stunden laufen mein Freund C. und ich von Hütte zu Hütte. In jeder von ihnen wohnt eine Tante was-weiß-ich wievielten Grades, ein Mutterbruder, oder eine „Schwester“ von C. oder einem seiner Verwandten. Wir sind für ein paar Tage in das Dorf Makale in der Provinz Masasi gefahren, nahe der Grenze zu Mosambik. Fast alle meine Freunde an der Straßenecke in Daressalam wurden hier geboren. Und alle hängen irgendwie miteinander zusammen, in einem großen, für mich undurchschaubaren Verwandtschaftsklumpen.

Ein Schnellkurs in Verwandtschaftsterminologie gefällig? Bitte sehr: Den Bruder der Mutter nennt man Mjomba. Die Schwester des Vaters Shangazi. Den jüngeren Bruder des Vaters nennt man Babamdogo, den „kleinen Vater“, seinen älteren Bruder entsprechend Babamkubwa, den „großen Vater“. Auf mütterlicher Seite genauso: Mamamdogo ist die jüngere, Mamamkubwa die ältere Schwester. Check? Weiter geht’s: Die Kinder von Mjomba und Shangazi heißen Binamu, sie sind zu unterscheiden von den Kindern von allen großen und kleinen Vätern und Müttern, die schlicht Kaka und Dada genannt werden, Bruder und Schwester. In der ethnologischen Terminologie entsprechen Binamus den „Kreuzkusinen“ und „Kreuzcousins“ und Kakas und Dadas den „Parallelkusinen“ und „Parallelcousins“. Verwirrt? Es wird noch besser. Denn Mjomba bezeichnet nicht nur den Bruder der Mutter, sondern auch einen Sohn des Bruders der Großmutter, ebenso ist Shangazi nicht nur die Schwester des Vaters, sondern auch eine Tochter der Schwester des Großvaters. Gleiches gilt für Mamamdogo, Mamamkubwa, Babamdogo, Babamkubwa, sowie Binamus und Brüder und Schwestern.

So. Und wenn wir das für das kleine Dorf Makale durchrechnen, sind alle irgendwelche großen oder kleinen, mütterlich oder parallel verschwägerte Kreucousinen großväterlicherseits, so in etwa. Zumindest habe ich diesen Eindruck, als C. mit mir der Reihe nach die Hütten abklappert und mich allen vorstellt.



Bei meiner Runde durch das Dorf blicke ich in strahlende Gesichter an diesem regnerischen Tag. In vielen erkenne ich die Augen oder ein Lächeln wieder, von einem meiner Freunde am fernen Maskani in Daressalam. „Das ist der Vater von J.“, sagt C.. Und: „Das ist meine Mutter“. Natürlich meint er nicht seine leibliche Mutter, das wäre zu einfach, sondern eine „kleine Mutter“, eine von vielen. So ist auch Mzee M. nicht „der“ Großvater von C., sondern „nur einer“ von vielen. Wie dem auch sei. Er freut sich über unseren Besuch. Und erzählt mir über die Geschichte seines Dorfes. Seit 1914 lebten dort Menschen, die aber verstreut siedelten und der politischen Autorität unterschiedlicher Wenye (singular Mwenye, was oft mit „Chief“ oder „Häuptling“ übersetzt wird) unterstellt waren. 1972 wurden sie zusammengelegt, auch auf Drängen der Regierung.

Der verlorene magische Monat

Den „Verwandtschaftsklumpen“ identifiziert er als „Ukoo Kajava“, was ich wiederum als matrilineare Verwandtschaftslineage identifiziere, also eine Verwandtschaftsgruppe, deren Zugehörigkeit über die mütterliche Seite bestimmt wird. Er bedauere, dass ihr Mwenye zur Zeit in einem anderen Dorf weile, sonst könnte ich von ihm viele weitere Geschichten über das Dorf erfahren. Als wir uns für ein gemeinsames Foto schick machen, humpelt er, um sein schönes Hemd zu holen, durch sein Haus. Vor sieben Jahren hatte er einen Unfall, bei dem er sich den linken Oberschenkel ausgekugelt hat. Ärztliche Behandlung hat er keine genossen, ich nehme an, das Gelenk ist immer noch ausgerenkt. Nein, mit Lagerfeuerromantik hat das Leben im Dorf nur wenig gemein.

Nach dem obligatorischen Geknipse heißt er mich noch einmal herzlich willkommen und fragt mich, warum ich denn ausgerechnet jetzt komme, und nicht im Oktober. Der Oktober, das muss der magische Monat sein in Makale. Denn dann wird die fette Beute der Mikorosho eingefahren, der Cashew-Bäume. Überhaupt scheint „Korosho“, Kiswahili für Cashew, die meist gebrauchte Vokabel hier zu sein. Ihre Cashew-Bäume und deren Früchte sind das zentrale Thema der Dorfbewohner. Sie sind ihre einzige Einnahmequelle. Während Linsen, Kürbisse und Maniok zur Selbstversorgung angebaut werden, ist die Cashew-Ernte im Oktober der finanzielle Hoffnungsträger von C.´s Vater, Mzee C., und seinen Verwandten und Nachbarn. Nur beim letzten Mal ist irgendetwas schiefgegangen.

Während in vergangenen Zeiten die Ernte direkt und gegen Bargeld an private Großhändler verkauft wurde, hat vor zwei Jahren die tansanische Regierung das Geschäft in die Hand genommen, mit dem zu erwartenden Erfolg. „Wir warten immer noch auf das Geld vom Oktober letzten Jahres“, sagt Mzee C. Schuld daran ist das neue System: Zum festgelegten Preis von 1.200 Tansanischen Schillingen kaufen staatliche Zwischenhändler die Ernte auf, um sie zu einem von ihnen festgelegten Preis an genau die Großhändler weiter zu verkaufen, an die die Bauern früher eben selbst verkauft haben – in der Theorie. Nur sind diese privatwirtschaftlichen Unternehmer mit diesem Preis eben nicht einverstanden. Dann kaufen sie halt woanders ein. Leidtragende sind die Bewohner von Dörfern wie Makale in der gesamten Region Masasi. Ihre Ernte sind sie los, aber sie haben noch keinen einzigen Schilling gesehen. Das heißt, sie leben derzeit so gut wie ohne Geldwirtschaft, von den Erträgen ihrer Felder. Mit utopischer Öko-Ideologie hat das aber nichts zu tun.

Elektro-Hühner

Auf unserem Weg durch die Cashew-Pflanzung reißt Mzee C. einen Grashalm aus, schüttelt seine Blätter und zerquetscht die winzigen Samen. „Wenn wir gar nichts mehr haben, stampfen wir diese Samen und machen Porridge daraus. Aber im Moment haben wir noch genug Gips für die nächsten Wochen“. Gips, damit meint er getrocknete Muhogo-Wurzeln, eine Art Maniok. Während die Wurzelknollen getrocknet, gestampft und zu Ugali verarbeitet werden, dem für Ostafrika typischen, zäh-klebrigen Brei, verarbeitet man die Blätter der gleichen Pflanze zu einer Art Spinat. „Vater und Mutter“ nennen die Leute hier das Paar scherzhaft, doch sind die beiden für sie rechte Langweiler: Die Mangelernährung hängt ihnen mittlerweile zum Hals heraus. Reis ist ihnen lieber, und natürlich Huhn.


„Aber keine elektrischen Hühner, wie wir in Dar sie essen, sondern richtige, einheimische Hühner,“ sagt C. Mir zu ehren wurde eines der stolzen Tiere geschlachtet, das, anders als die „elektrischen Hühner“ aus der Massenhaltung, seine Nahrung selbst im Hof und im Wald gesucht hat. Ich esse, der Tradition entsprechend, alleine im Haus, während der Rest der Familie auf einer Bodenmatte im Hof Vater und Mutter verkloppt. Es ist nur wenig dran, an dem Vogel, den man mir vorsetzt, aber ich schmecke den Unterschied. Irgendwie erinnert mich dieses analoge Huhn daran, wie Hühnchen in meiner Kindheit geschmeckt hat. Also doch verlorenes Paradies?

Das sieht H. anders. Letztes Jahr hat er seine Zelte in Daressalam abgebrochen, weil er nach vielen Jahren des Rackerns dort einfach keine Zukunft für sich und seine Familie gesehen hat. Ich besuche ihn in Mbuyuni, einem Nachbardorf, um zu sehen wie es ihnen geht. „Die Sonne hat meinen Mais verbrannt“, klagt er. Als Neuling im Dorf hat er keine Cashew-Bäume, also bleiben ihm nun so gut wie keine Felderträge. Zwei seiner jüngeren Brüder wohnen in dem Haus, in dem seine Mutter lebte, bevor sie vor zwei Jahren starb. „Ich kann dort nicht wohnen“, sagt er mir. „Ich bin ein erwachsener Mann, ich muss doch ein eigenes Haus bauen, und dann meinen jüngeren Geschwistern einen Weg ins Leben zeigen“. Doch wohnt er derzeit im Haus seines Schwagers, am Hof seines Schwiegervaters. „Wenn Du nichts hast, schaust Du nicht nach vorne. Deine Gedanken kreisen nur um deinen Zustand und deine Probleme im Hier und Jetzt“, schildert H. seine geistige Verfassung.

H. hat sich ein schlechtes Jahr für seine Rückkehr ausgesucht. Das fehlende Geld der Cashew-Ernte drückt auch in Mbuyuni die Stimmung. In der vergangenen Nacht hat man die lokale Ladenbude aufgebrochen und das Mehl und den Zucker geklaut. Die Leute haben Hunger. Aber immerhin konnte H. sich unlängst ein Huhn kaufen. Und das hat mittlerweile drei weibliche Küken ausgebrütet, und zwar keine elektrischen. Ich versuche ihm Hoffnung zu machen und ermutige ihn durchzuhalten. Dabei habe ich leicht reden. Aus der Stadt zurückzukehren ohne Geld in der Tasche, das gilt im Dorf als Scheitern. Nun steht H. auch im Dorf vor dem Nichts. Mir fallen keine passenden Worte ein.

Hassan und seine Schwiegerverwandten - zumindest einige von ihnen
Zurück in Makale herrscht Aufregung im Haus von Mzee C. Ein Mann, den man vor wenigen Tagen im Dorf beerdigt hat, sei in den Cashew-Pflanzungen gesehen worden. Seine Mutter, sagt man mir, habe ihn verhext, woraufhin er gestorben sei. Er sei Opfer eines Spiels geworden, das Wachawi, also Hexer, gerne untereinander spielen. Dabei müsse jeder der beteiligten Hexer der Reihe nach ein Familienmitglied opfern. Nur anscheinend war der Hexer-Zirkel mit dem Angebot dieser Frau nicht einverstanden. Deswegen finde ihr Sohn keine Ruhe und geistere auf den Feldern der Leute umher.

Stöckchen, Nadel, Faden

Nun könnte ich diese Anekdote verschweigen, und so dem Vorwurf des Exotismus entgehen. Aber warum sollte ich? Meinem Freund C. liegt daran, dass ich das echte Leben in seinem Dorf kennenlerne. So hat er auch keine Scheu, mir von der Medizin zu erzählen, mit der er sich vor dem Neid der Leute im Dorf schützt. Weil C. in der Stadt lebt könnten sie denken, er würde dort viel Geld verdienen. Und neidische Leute, so sagt man, würden einem mit Medizinen und Zauber böses antun. Also muss er sich bei jedem Besuch im Dorf schützen, sein Vater besteht darauf. Er hat einen Tonkrug mit Wasser und verschiedenen Baumrinden angesetzt. Nachts nimmt C. mich zum Waschplatz mit, wo er ein Stück glühende Kohle in der Tinktur versenkt. „Genauso, wie die Kohle durch das Wasser abgekühlt wird, wird auch der Neid der Leute abgekühlt“, erklärt er mir. Er schöpft sich das Wasser über den gesamten Körper.

Stoeckchen, Nadel, Faden: Schaden kanns ja nicht
Dass er nun auch noch mit einem Weißen hier im Dorf auftaucht, könnte den Neid der Leute noch verstärken. Daher bastelt sein Vater einen kleinen Talisman aus einem Holzstückchen, einer Nadel und einem Stück Bindfaden. Solange wir gemeinsam durch das Dorf laufen, behält C. ihn in der Hosentasche. Bei unserer Abreise gibt er ihn seinem Vater zurück. „Ich weiß nicht so recht, ob ich daran glauben soll, oder nicht,“ gesteht C., „aber direkt schaden kann es ja auch nicht, oder?“ Ich muss ihm Recht geben und versuche ihm das in den Sozialwissenschaften diskutierte „Thomas-Theorem“ zu erklären: Wenn Menschen an bestimmte Phänomene glauben, und dementsprechend ihr reales Leben organisieren, so haben diese Phänomene also reale Folgen. Man muss ihnen einen gewissen Grad an Realität zusprechen. Ob meine Kiswahili-Version dieses Theorems so ganz richtig rüberkommt, weiß ich nicht. C. nickt zumindest und schiebt das kleine Bündel wieder in seine Hosentasche.

Als ich, bei C.´s jüngerem Bruder S. auf dem Gepäckträger sitzend, aus dem Dorf geradelt werde, wird dieser ganz schwermütig. „Ich bin das Leben im Dorf müde“, antwortet er auf meine Frage, was ihn bedrückt. „Im Leben muss man doch voran kommen, Arbeiten um Geld zu verdienen. Hier sehe ich keine Zukunft“. Er will zurück nach Dar, wo er fast eineinhalb Jahre bei seinem Bruder gelebt und bei einem Schreiner gelernt hat. Das Problem ist das Geld für den Bus. Wenn es im Haus seines Vaters an 100 Schillingen für etwas Öl zum Kochen mangelt, wo soll S. die 20.000 Schillinge für das Busticket in die Stadt herbekommen? Er bittet mich, ihm zu helfen. Mit gemischten Gefühlen gebe ich ihm das Geld, umgerechnet zehn Euro. Ich habe so viele junge Leute in der Stadt kennengelernt, die täglich um ihre Existenz kämpfen, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich ihm wirklich einen Gefallen tue. Doch verstehe ich, dass ihn die Möglichkeiten der Stadt reizen. Denn wie sein Leben auf dem Dorf verlaufen würde, das ist relativ absehbar.

Langsam wirds fad: Matamba ni Chisambura oder auch "Vater und Mutter"
Der Kontrast zwischen dem dörflichen Leben und der Stadt könnte größer nicht sein. In dieser Kluft gedeiht die Imagination der jungen Generation. Und es ist wahr: Daressalam mag das hässliche, stinkende Dreckloch sein, das es ist. Vom Dorf aus betrachtet aber ist es das Tor zur Welt. Ich bin ohne konkrete Forschungsfrage nach Makale gekommen. Mir ging es darum, ein Gefühl für das dörfliche Leben zu bekommen, das die Weltsicht meiner Freunde am Maskani in Daressalam geprägt hat. Das ganze muss sich erst noch setzen. Aber ich habe das Gefühl, der Jahres-Rhythmus der Cashew-Ernte und die Obsession mit den Feldfrüchten, die engen verwandtschaftlichen Beziehung, Neid, Hexereiglaube und die Enge des Dorfes spiegeln sich in manchen Aspekten des städtischen Miteinanders der Schuhverkäufer wieder.

Dienstag, 21. Februar 2012

Abdullah´s Palme? Ein Besuch auf dem Acker

10 auf 20 Meter Freiheit – aber wie rechnet man das in Fuß um? Um von den lästigen Mietkosten loszukommen haben C. und M. sich ein Stück Land gekauft auf dem, irgendwann in der Zukunft, ein eigenes kleines Häuschen stehen soll. Jetzt wollen wir mal sehen, wie die Lage ist. Mit einem Maßband und einem handgemalten Plan machen wir uns daran, ein Stück Acker zu vermessen.

Gruene Huegel und der ganze Hippie-Kram„Mist, jetzt haben wir vergessen Wasser zu kaufen,“ sagt C., als wir gerade aus dem dünn besiedelten Chamazi am Rande der Stadt in den Busch laufen, um die kleine Scholle zu suchen, die er und sein Cousin M. gemeinsam von ihrer Tante gekauft haben. Vor uns tut sich eine sanfte und grüne Hügellandschaft auf, und ich bereue nicht, die Einladung angenommen zu haben, die beiden zu ihrem Zukunfts-Hoffnungs-Ort zu begleiten. Das mit dem Wasser nehme ich nicht so ernst, ich prahle noch mit meiner vortrefflichen körperlichen Konstitution, was ich später kleinlaut und unter mitleidigem Schulterklopfen revidieren werde. Wir überqueren eine Senke um auf der anderen Seite das besagte Stück Land zu finden. Ihre Tante begleitet uns. Ihr Ehemann war der Besitzer und Verwalter des Landes, und hatte bereits einige Parzellen verkauft, bevor er letzten Dezember starb. Als wir ankommen torkelt sie zunächst wie betrunken durch die Hitze, bis sie sich schließlich im Schatten eines Baumes auf die verbrannte Erde wirft und vor Kummer und Schmerz schreit. Dieser einfache Acker weckt Erinnerungen in ihr, an ein gemeinsames Leben mit ihrem Mann, das erst vor so kurzer Zeit endete. Etwas unbeholfen stehen wir drei um sie herum, bis M. sie schließlich bittet, sich nicht in den Dreck zu legen, es gebe ziemlich viel garstiges Ungeziefer.

Als sie sich beruhigt hat zückt sie ein kleines Notizbuch, das ihr Mann hinterlassen hat. Auf der ersten Seite hat ihr Mann eine kleine Karte gezeichnet, auf der die Unterteilung der Fläche zu erahnen ist. Sie blättert um. Auf der zweiten Seite finden wir eine Liste mit Namen und Zahlen, Maßangaben der Teilstücke, die jeweils verkauft wurden. Wir identifizieren die ersten zwei oder drei Parzellen auf dem Acker vor uns, und stellen dann fest, dass einer der Käufer bereits angefangen zu bauen – nur eben auf der Parzelle seines Nachbarn. Ein gelungener Einstieg in eine tolle Freundschaft, denke ich mir und bin froh, das jetzt nicht rechtlich auseinanderklamüsern zu müssen. Aber letztlich geht es uns darum die Parzelle meiner beiden Freunde zu identifizieren. Also machen wir uns mit den Angaben aus dem Büchlein und einem Maßband daran, Parzelle für Parzelle zu vermessen. Das geht dann ungefähr so:

Bruno haette seine Freude: S. auf dem Acker„Abdullah hat ein Stück von der Palme dort drüben bis zu dem Yamsbusch dort, und von dem Lehmbrocken auf der anderen Seite bis zum Wasser unten. Das heißt auf der anderen Seite ist das Stück von Patrick, und dahinter dann unseres, ungefähr bis zu dem Mangobaum da hinten.“ Das ganze sind dann etwa 30 auf 60 Fuß, und unser Maßband ist in Metern geeicht. Wasser haben wir wie gesagt keines, dafür knapp 40 Grad im Schatten, nur dass es eben keinen Schatten gibt. Ein lustiger Nachmittag steht uns bevor.


Wie wir mit dem orange leuchtenden Meterband in der glühenden Hitze auf dem Acker herum springen fühle ich mich wie Bruno Latour in seinem „Pedologischen Faden“. In dem Text begleitet Latour eine Expedition in ein Amazonas-Gebiet in Brasilien. Eine Botanikerin, ein Pedologe (ein Vertreter der Wissenschaft von den Bodenbeschaffenheiten), ein Geograph und eben Latour als Anthropologe untersuchen, ob der Wald in besagtem Gebiet die Savanne, oder ob die Savanne den Wald zurückdrängt. Als Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen müssen die vier eine gemeinsame Sprache finden, um über den gleichen Gegenstand zu sprechen. Die Wissenschaftler in dieser Situation, so Latour, geben zwar vor über den Wald und die Savanne zu sprechen. Tatsächlich aber konstruieren sie künstliche Repräsentationen, mit Ordnungsprinzipien und Maßzahlen, die sie ihren jeweiligen Wissenschaftstraditionen entnehmen, und nicht dem natürlichen Wildwuchs um sie herum.

Ob dieser Exkurs in die Wissenschaftsphilosophie ein gelungenes Ende für diesen Text abgegeben hätte, werden wir nie erfahren. Denn so banal geht die Geschichte weiter: Wir begnügen uns mit dem recht konkreten Problem uns darauf zu einigen, wie viele Zentimeter denn nun ein Fuß hat (wir sind der Meinung 30), was erstaunlich lange dauert. Meine anfängliche Begeisterung für die grünen Hügel, die klare Luft und den ganzen Hippie-Kram macht relativ bald Platz für einen grundsoliden Sonnenstich, der, ob seiner Herkunft, zweifelsfrei mit den Worten „vom andern Stern“ treffend beschrieben ist.

Aufgeschnuert fuer die Kleinen Zuhause: Zuckerrohr Hoffnung lauert jedoch unten am Bach. Nachdem die eigentliche Arbeit vollbracht ist, werfen C. und M. sich ihre Hacken über die Schulter und lassen ihre Tante und mich Weichei unter einem Baum zurück. Nach wenigen Minuten kommen sie grinsend mit etwas wieder, was für mich wie Bambus aussieht. Nachdem wir aber mühsam mit den Zähnen die harte Rinde abgenagt haben gibt das zuckrig-kristalline Mark den süßen Geschmack von Wassermelone und vor allem etwas Flüssigkeit preis. Ich kann mich gerade noch zurückhalten den beiden heulend um den Hals zu fallen. Das Zuckerrohr hacken sie in etwas handlichere Stücke und verschnüren es mit der abgezogenen Rinde eines Baums für den Heimtransport. Ich staune über die beiden von neuem. Sind halt doch echte „Naturburschen“, Jungs vom Land, vom Dorf. Die Sonne und die körperliche Arbeit machen ihnen nicht die Bohne aus.

Ob irgendetwas von diesen Geschichten hier jemals in meinem Forschungsbericht enden wird – ich weiß es nicht (entschuldige, Bruno). Aber jede kleine Anekdote und jeder kleine Seiten- und Einblick in das tägliche Leben meiner Freunde verrät mir etwas mehr über ihr Leben, ihre Perspektive auf die Welt und ihr Gefühl für sich selbst und ihre Mitmenschen. Um das Leben auf dem Asphalt der Stadt zu studieren, muss man manchmal auf den Acker gehen. Potzblitz platzt die Blase der Erkenntnis über mir und heraus spritzt die strahlend klare Einsicht: Mit diesen Worten will ich enden.

Montag, 13. Februar 2012

Mapambano yanaendelea: Der Kampf geht weiter

Die Hitze ergießt sich über mich wie klebriges Öl, der Wind fegt mir Staub in die Augen. Nachdem frühmorgens die gebrauchten Schuhe auf dem Markt ausgewählt und anschließend am Treffpunkt, dem Maskani „verhext“, also geputzt und gewienert wurden, tragen PD. und S. in der Mittagshitze ihre „Steine“ durch die chaotischen Straßen Daressalams. Mit einem zerfledderten Notizblock, einem Kugelschreiber und einem Bauchladen dummer Fragen bewaffnet hechle ich ihnen hinterher.

„Machst Du noch diese Forschung?“ fragten mich die Jungs an der Straßenecke, als ich vergangene Woche wieder in Dar ankam. So normal scheint meine Präsenz schon geworden zu sein, dass es für sie auch vollkommen OK wäre, wenn ich aus reinem Spaß an der Freude mit ihnen abhängen und Sprüche klopfen wollte. Ja, Tatsache: Ich bin wieder auf Feldforschung. Das allzu beschauliche Konstanz, mein Büro in der Fachgruppe Soziologie an der Uni sowie die Couch in meiner WG habe ich eingetauscht gegen überfüllte Minibusse, durchgeschwitzte Hemden, Hitzepickel und einseitige Ernährung, die vielen hundert Seiten Lektüre jede Woche gegen Blasen an den Füßen und die Studenten meines Seminars gegen diese Truppe Straßenhändler, die am Rande des Existenzminimums das Zentrum der Millionenmetropole am indischen Ozean abgrasen.

In der Stadt sprechen mich auf Schritt und Tritt Leute mit Namen an, fragen, wie der Schuhhandel läuft, oder tuscheln an den Ecken über mich, dass ich nicht nur ein „mzungu machinga“, ein weißer Straßenhändler sei, sondern außerdem eigentlich Muyao, also Angehöriger eines Stammes der Region Masasi im Süden Tansanias. Woher sie meinen Namen wissen ist mir meist unklar, die tribale Zuordnung kann ich gerade noch verstehen: Schließlich sind die meisten meiner Freunde am Maskani Wayao, und von ihnen habe ich den einen oder anderen Brocken ihrer Stammessprache Kiyao gelernt.

Wie wird aus dem Gekrakel eine Dissertation?
Drei Monate Feldforschung stehen bevor. Unzählige Kilometer werde ich zu Fuß zurücklegen , mal im intensiven Gespräch mit einem meiner Freunde, mal im einvernehmenden Schweigen, im hypnotisch-wortlosen Dialog zwischen Fußsohlen und Asphalt. Die Suppe, die da im „Feld“ gekocht wird, werde ich wieder versuchen mit einer Gabel auszulöffeln, um zumindest einen Geschmack davon zu bekommen, wie es sich anfühlen muss, wenn man nur diese eine Welt kennt, in der man an Brechdurchfall stirbt und in der 7 Euro für Schulbücher über Lebensperspektiven entscheiden. Die Offenheit meiner Gastgeber ist noch größer als im vergangenen Jahr. Ich freue mich über die herzlichen Gesichter, die lässigen Posen der Straßenjungs, die Fragen nach meiner Familie, wie es mir in Deutschland erging, und ob mein „Boss“ mit meiner bisherigen Arbeit zufrieden war.

Heute also drehe ich die ersten Runden mit PD. und S., und lerne neue Straßenecken, Slang-Wörter, Verkaufsstrategien kennen. Wir schleifen nur winzige Schatten mit uns über die Straße, die Sonne steht fast senkrecht im Zenit. Mir wird leicht schwindelig und ich drifte im Geist immer wieder ab. Was für einen Lebenswandel ich doch durchmache: Vom Berufs-Klugscheisser zum Straßenjungen. PD. und S. marschieren mit spartanischer Sturheit durch die glühende Hitze, pausieren nicht einmal für einen Schluck Wasser. Wie zäh diese Typen wirklich sind, kann ich nur erahnen. Ich selbst fühle mich nach diesem ersten Tag wie frittiert, und ich bin froh, dass ich zuhause nicht unregelmäßig Ausdauersport gemacht habe. Am Ende vom Tag sehe ich meinen Notizblock durch frage mich, wie aus diesem Gekrakel jemals diese Dissertation werden soll, von der immer alle reden.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Schlechte Nachrichten

Am ersten Tag, als ich an „meiner“ Straßenecke ankam, hat er mich bereits darauf angesprochen: Meine Turnschuhe, die findet er cool. Ich soll sie ihm überlassen, wenn ich nach Deutschland zurückgehe. Ich hab ihm spontan zugesagt, dass kein anderer als er sie bekommen soll.

JJ. war keiner von den Schuhverkäufern. Er hat mit zwei anderen Jungs einen kleinen „Buchladen“ betrieben, genaugenommen ein Stahlgitter, das mit gebrauchten Büchern vollbeladen war. Wenn sie Glück hatten, die drei, kam ein Schüler oder Student vorbei, und hat ihnen ein Geschichtsbuch oder einen Atlas abgekauft.

Von J. konnte ich mir nie ein genaues Bild machen. Er erschien mir wie ein harter Brocken, undurchdringlich. Hochgewachsen und schlacksig. Hat damit angegeben, dass er nie Bier, sondern immer nur harten Alk trinkt, selbstgebrannten Schnaps und so etwas. Wir haben uns nur langsam angenähert. Aber am letzten Tag habe ich mein Versprechen eingelöst, und ihm meine frisch gewaschenen und gebürsteten Adidas Marathon II übergeben. Er hat sie sofort angezogen und wahrscheinlich nie wieder abgelegt.

Soeben rief mich mein Freund A. an, und erzählte mir, dass J. letzte Woche gestorben ist. Er sei nachts von einem Auto überfahren worden, als er, vermutlich ziemlich stramm, aus einer Bar kam. Die Vorstellung, dass er meine Turnschuhe anhatte, als er seinem Schöpfer gegenübertrat, treibt mir die Tränen in die Augen.

Ruhe in Frieden J., du harte Nuss.

Neues von der Strassenecke.

Feldtagebuch von Alexis Malefakis... und was sonst noch so ist.

karibu!

Du bist nicht angemeldet.

Fieldwork
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren